Stuttgart (rad-net) - Am kommenden Wochenende finden die Deutschen Meisterschaften auf der Straße statt. In Öschelbronn und Stuttgart werden die Zeitfahr- beziehungsweise Straßen-Wettbewerbe ausgetragen. Marcel Meisen und Lisa Brennauer sind die Titelverteidiger im Straßenrennen.
Doch Deutsche Meisterschaften haben ihre eigenen Gesetze: Nicht immer sind es die Top-Favoriten, die am Ende das Trikot mit dem schwarz-rot-goldenen Brustring überstreifen dürfen. Im letzten Jahr überraschte Marcel Meisen (Alpecin-Fenix), als er auf dem Sachsenring die hochgehandelten Fahrer des deutschen Rennstalls Bora-hansgrohe düpierte und Meister wurde, vor Pascal Ackermann und seinem Teamkollegen Alexander Krieger. Das erinnerte an die Titelkämpfe im Jahr 2005. In Mannheim durchbrach der junge Gerald Ciolek die Erfolgskette des Teams Telekom, das zehn Jahre in Folge den Meister stellte. Auch Martin Reimers Triumph in seiner Heimatstadt Cottbus vier Jahre später war eine Überraschung. Wer also wird es diesmal sein, der am 20. Juni als Erster über den Zielstrich fährt?
Die großen Favoriten sind die Fahrer des deutschen Rennstalls Bora-hansgrohe, die mit elf Fahrern gemeldet haben. Maximilian Schachmann, der Deutsche Meister von 2019, verzichtet extra auf das Zeitfahren am Vortag, um ausgeruht an den Start zu gehen und möglicherweise seinen zweiten Titel zu holen. Sollte es zum Sprint kommen, wird sein Team versuchen Pascal Ackermann in die beste Position zu bringen, damit der Pfälzer quasi die Schmach des Vorjahres vergessen macht.
Der anspruchsvolle Rundkurs im Stuttgart ist aber insbesondere etwas für Fahrer wie die Klassikerjäger Nils Politt (Bora-hansgrohe) oder Jonas Rutsch (EF Education-Nippo). Und man sollte auch die «alten Hasen» nicht unterschätzen, wie beispielsweise John Degenkolb (Lotto-Soudal), der noch immer dem Titel hinterherjagt. Und dann sind da die vielen Fahrer der sogenannten «zweiten» Reihe, die nur zu gern die großen Namen in Bedrängnis bringen möchten. An erster Stelle sind die Fahrer von Lotto-Kern Haus zu nennen, und da besonders Kim Heiduk, der Deutsche U23-Meister, der auch zuletzt mit zwei zweiten Plätzen in kleineren Etappenrennen zu überzeugen wusste. Allerdings werden sie vor allem mit der längeren Distanz als in den Rennen der U23-Klasse üblich zu kämpfen haben. Insgesamt haben mehr als 200 Fahrer für den Titelkampf gemeldet.
Bei den Frauen ist die Titelverteidigerin Lisa Brennauer (Ceratizit-WNT) die klare Favoritin. Sie hat in diesem Frühjahr überzeugt, in vielen Rennen starke Resultate eingefahren, war Zweite der Flandern-Rundfahrt, Dritte bei Gent-Wevelgem. Wer in Stuttgart Meisterin werden will, muss die 33-Jährige erst einmal abhängen. Lisa Klein (Canyon-SRAM Racing/Meisterin 2017) oder Liane Lippert (DSM/Meisterin 2018) wollen sich das Trikot gern zurückerobern. Zum erweiterten Favoritenkreis sind auch starke Tempomacherinnen wie Mieke Kröger (Coop-Hitec Products/Meisterin 2016) oder Romy Kasper (Jumbo-Visma) zu zählen.
Wegen der Corona-Pandemie finden die Meisterschaften nicht an drei aufeinanderfolgenden Tagen statt, sondern nur an zwei: Am Samstag werden alle Zeitfahren ausgetragen, am Sonntag die Straßenrennen der Elite Männer und Frauen. Das bedeutet insbesondere für die Männer eine kürzere Regenerationszeit, denn sie hatten sonst samstags «frei», wenn die Frauen ihr Straßenrennen austrugen. Deshalb hat Max Schachmann entschieden, im Kampf gegen die Uhr nicht anzutreten. Tony Martin könnte sich seinen zehnten Titel holen. Das wäre einmalig in der Radsport-Geschichte. Neunmal war der viermalige Weltmeister schon nationaler Champion, von 2012 bis 2019 in ununterbrochener Folge. Diese Siegesserie unterbrechen wollen vor allem Nikias Arndt (DSM), Jonas Rutsch und Maximilian Walscheid (Qubeka-Assos), der zuletzt im Giro zwei großartige Zeitfahren abgeliefert hat und sich in dieser Disziplin sehr weiterentwickelt hat.
In der Kategorie U23 ist Marco Brenner (DSM) der große Favorit. Er bestreitet sein erstes Elite-Jahr bereits auf WorldTour-Ebene und hat schon erstaunliche Resultate abgeliefert, weshalb er der nationalen Konkurrenz klar überlegen sein dürfte. Bei den Frauen werden sich Titelverteidigerin Lisa Klein und Straßenmeisterin Lisa Brennauer nichts schenken. Und Mieke Kröger, die wie Brennauer und Klein gestern vom DOSB für die Bahnwettbewerbe der Olympischen Spiele in Tokio nominiert wurde, ist ebenfalls eine Medaillen-Kandidatin.
Die Zeitfahren am Samstag finden auf einem 30,5 Kilometer langen Rundkurs statt, den alle Klassen, Männer, Frauen und U23 bestreiten. Das Profil ist leicht wellig, hat 350 Höhenmeter und ist ein klassischer Roller-Kurs. Start und Ziel befindet sich vor dem Radstadion in Öschelbronn. Das Straßenrennen startet in Filderstadt-Bernhausen. Von dort geht es zum Rundkurs nach Stuttgart-Degerloch wo die Frauen 14 Runden (107,2 km/Start 8 Uhr) und die Männer 25 Runden (185,3 km/Start 11 Uhr) absolvieren. In jeder Runde sind 122 Höhenmeter zurückzulegen. Das entspricht bei den Männern insgesamt knapp 3000 Höhenmeter.
Kurzfristig konnten noch 250 Zuschauer zugelassen werden. Die Berechtigungskarten dafür waren innerhalb von einer Stunde vergriffen.