Scherzingen (dpa) - Die Signale für ein bevorstehendes Karriereende des unter Doping-Verdacht geratenen Jan Ullrich mehren sich.
Der 32-jährige Olympiasieger erklärte aus Verärgerung über die Haltung der Dachorganisation in der aktuellen Doping-Affäre seinen sofortigen Austritt aus dem Schweizer Radsport-Verband. Ullrich drohte dem Verband, der die Wege zu einem Sportrechts-Verfahren gegen ihn geebnet hat, mit Schadenersatzforderungen.
«Jan Ullrich lässt es sich nicht länger gefallen, dass seine Persönlichkeitsrechte durch Swiss Cycling mit Füßen getreten werden. Seine bisherigen Beanstandungen hat der Schweizer Verband hartnäckig ignoriert. Durch diese Behandlung der Angelegenheit sind Jan Ullrich erhebliche Nachteile entstanden», ließ der ehemalige T-Mobile-Kapitän auf seiner Internetseite verbreiten.
«Der Austritt aus dem Verband bedeutet nicht, dass ich meine Karriere beende, es bestehen Kontakte zu anderen Radsportverbänden wegen einer Lizenz 2007», schrieb Ullrich. Vorher hatte sein Manager Wolfgang Strohband auf dpa-Anfrage erklärt, dass er mit mehreren ProTour-Teams wegen einer möglichen Vertragsunterschrift Gespräche führe und sein Schützling «demnächst» ein Trainingslager aufsuchen werde.
Die Lizenzvergabe ist an den Wohnort gebunden, so dass auch ein Umzug aus der Schweiz bevorstehen könnte. «Jan ist nicht mit der Schweiz verheiratet, nur mit Sara», sagte Strohband. Ullrich beschwerte sich bitter über «tägliche Lügengeschichten in den Medien» und dankte seinen Fans für erwiesene Solidarität.
Ullrich zog nach eigener Darstellung durch seinen Austritt «die Konsequenz aus dem rufschädigenden Verhalten des Schweizer Verbandes». Auf seiner Internetseite hieß es, dem Rad-Profi sei nicht zumutbar, «einem Verband anzugehören, der nachhaltig Persönlichkeitsrechte und Berufsfreiheit eines Mitglieds verletzt und zu spezifizierten Beanstandungen keine Stellung nimmt».
Ullrich, den Fotos in der «Sport-Bild» vom 18. Oktober als nicht ganz austrainiert wirkenden Freizeitsportler beim Müll-Entsorgen vor seiner Schweizer Villa am Bodensee zeigten, erklärte: «Seit Monaten heizen Verantwortliche von Swiss Cycling und Swiss Olympic presseöffentlich mit widersprüchlichen Stellungnahmen die Medienkampagne gegen mich an. Das Vertrauensverhältnis ist zerstört.»
Mut findet Ullrich, der am 21. Oktober zur Hochzeit seines Freundes Andreas Klöden in Berlin eingeladen ist, durch die Zuwendung seiner Fans. An ihre Adresse schrieb er: «Ich kann Euch nicht oft genug sagen, wie viel mir eure Unterstützung bedeutet. Etwas Schöneres kann es für einen Sportler nicht geben. In letzter Zeit habe ich mich selten bei Euch gemeldet, da ich diese schwierige Situation gar nicht begriffen habe und auch noch gar nicht richtig verarbeiten konnte. Es ist schwer für mich, täglich Lügengeschichten über mich in den Medien zu lesen. Um nicht verrückt zu werden, kann und will ich nicht jede Veröffentlichung kommentieren.»
Im Gegensatz zu den Fans geht sein früherer Mannschaftsarzt beim Team T-Mobile, Lothar Heinrich, auf Distanz zu Ullrich. In einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten sagte er: «Ich bin menschlich sehr enttäuscht.» Der Mediziner der Uni Freiburg, der Ullrich jahrelang betreute, wies eine Mitverantwortung zurück: «Ich kann mir keinen Vorwurf machen. Ich bin als Teamarzt für die Gesundheit der Athleten verantwortlich. Ich habe bei den Rennen kein Labor für Dopingtests dabei, sondern nur Medikamente, um die Gesundheit der Sportler zu erhalten.»
«Mit Genugtuung» hat Ullrich, der am 18. Juni zum letzten Mal im Rennen im Sattel saß, auf die Nachricht reagiert, dass gegen den Italiener Ivan Basso vorerst kein Verfahren eingeleitet wurde. «Ivan und ich waren bekanntlich die Topfavoriten der diesjährigen Tour. Leider sind wir aus dem Rennen genommen und an der Ausübung unseres Sports gehindert worden.»
Mit dem Giro-Gewinner, der sich von seinem dänischen CSC-Team trennte, hat Ullrich «in den vergangenen Wochen, die für uns beide nicht leicht waren, immer Kontakt gehalten. Jetzt freue ich mich als einer seiner größten sportlichen Rivalen, dass der Spuk für ihn vorbei ist».
Die dem Schweizer Verband vorliegenden Vorwürfe gegen Ullrich stützten sich «ausschließlich auf einen verfälschten Bericht der spanischen Polizei», hieß es auf seiner Internetseite. Disziplinarverfahren könnten «auf dieser Grundlage nicht eingeleitet werden». Swiss Cycling ist offensichtlich anderer Meinung und hat die Unterlagen an die Disziplinarkammer weitergeleitet, die über die Einleitung eines Verfahrens entscheiden wird. Bei einem Schuldspruch drohen Ullrich mindestens zwei Jahre Sperre. Zusätzlich laufen zwei Zivilrechts-Verfahren gegen den einzigen deutschen Toursieger.