Morzine (dpa) - Im Prinzip hätte Oscar Pereiro bei der 93. Tour de France gar nicht auftauchen dürfen. So hatte es sein Team Caisse d'Epargne-Illes Balears eingeplant und den 28-Jährigen zunächst nur für den Giro und die Vuelta vorgesehen.
Doch der «ambitionierte Dickschädel», wie ihn die spanische Zeitung «El País» nennt, setzte sich durch und hat noch einen Vorsprung von zwölf Sekunden vor seinem Landsmann Carlos Sastre. Pereiro hat damit noch Chancen, als Sieger der Tour de France in Paris anzukommen. Als letzter Spanier in Gelb fuhr zuletzt 1995 Miguel Indurain über den Zielstrich.
Die Spitzenposition fiel Pereiro zu nachdem sich Kapitän Alejandro Valverde bei einem Sturz das Schlüsselbein brach und in der 3. Etappe aufgeben musste. Pereiro, als Valverde-Helfer am Start, musste sich eine neue Rolle suchen. Dabei hat der Spanier mit einem zehnten Platz 2004 und 2005, als er noch für das Team Phonak unterwegs war, gute Tour-Erfahrungen. Beim Aufstieg nach L'Alpe d'Huez belegte er 2004 Rang 14 und heimste einen Etappensieg in Pau ein.
«Die anderen Mannschaften haben Pereiro immer unterschätzt», sagt sein heutiger Teamchef Eusebio Unzué. «Gib' nicht auf, denn sie haben es längst bereut, dich ziehen zu lassen», machte der verletzte Valverde seinem Kollegen Pereiro am Telefon Mut. «Wir sehen uns am Sonntag in Paris».
Tatsächlich kam dem Vater eines acht Monate alten Sohnes eine krasse Fehleinschätzung seines einstigen Teamkameraden Floyd Landis zu Gute. «Wir kennen ihn von früher, in den Alpen wird er einsacken», hatte der Amerikaner geunkt, als Pereiro ihm auf der 230 Kilometer langen Etappe zwischen Béziers und Montélimar das Gelbe Trikot zum ersten Mal wegnahm. Pereiro war es gelungen, einen Rückstand von 28:50 Minuten in einer rasanten Fahrt unter brütender Sonne aufzuholen und sich als Tages-Zweiter hinter Jens Voigt an die Spitze im Gesamtklassement zu setzen.
Zwar holte sich Landis Gelb bei der 15. Etappe nach L'Alpe de Huez zurück. Doch Pereiro blieb auf der Lauer. Als am Mittwoch Landis überraschend einbrach, startete Pereiro durch - zusammen mit seinem nun schärfsten Rivalen Andreas Klöden. Nun könnte sich die Tour beim Zeitfahren am Samstag über 57 Kilometer entscheiden. Nach seinem Sieg auf der 17. Etappe ist auch Landis wieder im Geschäft, liegt eine halbe Minute hinter Pereiro. Andreas Klöden ist Vierter mit einem Rückstand von 2:29 Minuten.
Für den Solo-Kampf gegen die Uhr hat Pereiro, der wegen seiner hageren Gestalt als Jugendfahrer «Die Hülle» genannt wurde, gute Voraussetzungen. In Rennes, beim ersten Zeitfahren Zeitfahren der diesjährigen Tour, verlor er 2:41 Minuten gegen Spitzenmann Sergej Gontschar, doch nur 58 Sekunden auf Klöden. Doch wenn es um das Gelbe Trikot geht, dürfte Real-Madrid-Fan Pereiro alles auf eine Karte setzen. «Ich habe jetzt die Gelegenheit zu wissen, ob ich ein großes Rennen gewinnen kann. Ich träume vom Gelben Trikot in Paris.»