Hagen (rad-net) - Während der zweiten Woche der Tour de France haben uns im Rahmen des zweiten Teils von «Fragt den Kämna» wieder einige Fragen für Lennard Kämna erreicht. Diese waren erneut bunt gemischt und reichen von Themen wie natürlich der Frankreich-Rundfahrt, über die Infrastruktur und das Team Bora-hansgrohe, bis hin zur Currywurst. Im Interview mit rad-net stand der 24-Jährige wieder Rede und Antwort.
Bemerkst du, wenn an deinem Rad Änderungen vorgenommen worden sind, zum Beispiel wenn der Sattel drei Millimeter tiefer oder höher ist? Interessierst du dich für die Technik an deinem Gefährt, beispielsweise elektrische Schaltung, Übersetzung, Gewicht, Reifen etc. Und sprichst du mit den Mechanikern über diese Dinge am Vorabend einer Etappe oder werden Änderungen vom Trainer-/ Betreuerteam entschieden?
Lennard Kämna: Also es gibt einen Performance-Plan, wo zum Beispiel draufsteht, welche Laufräder für den Tag vorgesehen sind. Aber man kann immer frei entscheiden, welche man fahren möchte. Wenn ohne Absprache am Rad rumgestellt werden würde, würde ich das sofort merken – man merkt jeden Millimeter, um den die Position verändert wurde. Aber das kommt nicht vor, Änderungen werden nur in Absprache mit dem Sportler vorgenommen.
Wie nervig sind die Fragen zur aktuellen Teamleistung? Wenn mir die selbsternannten Experten dauernd zum Formtief des Teams, zur falschen Taktik und Mannschaftszusammenstellung Fragen stellen würden, ginge mir das ganz schnell auf den Geist.
Kämna: Ich hatte an sich nicht das Gefühl, dass wir von den Medien irgendwie zerrissen wurden, oder dass berichtet wurde, dass unser Team formschwach sei. Klar sind wir nicht da, wo wir gerne hätten sein wollen, gerade in der ersten Woche, aber ich denke wir haben besonders in der zweiten Woche gezeigt, dass wir gute Form haben, und mehr als es zu probieren kann man nun einmal nicht. Wir haben versucht, Chancen zu kreieren und meiner Meinung nach gab es da wenig, was wir taktisch falsch gemacht haben. Gerade auf der Etappe, wo ich zweiter geworden bin, haben wir taktisch alles richtig gemacht. Wenn jemand anders stärker ist, dann kann man sich darüber nicht grämen. Besonders auf Instagram habe ich unter meinen Posts immer riesengroßes, positives Feedback für jegliche Etappen bekommen und deswegen habe ich überhaupt gar kein schlechtes Gefühl beim Gedanken an Medien oder an Social Media.
Wie zu lesen war, hast du dich zumindest am Anfang mehr über deinen zweiten Platz «geärgert», beziehungsweise die Enttäuschung war größer als die Freude über das super Rennen was ihr abgeliefert habt. Mit nun ein wenig Abstand. Wie sehr freust du dich über die Podiumsplatzierung oder ist die Enttäuschung dem Stolz noch nicht gewichen?
Kämna: Hm… 50:50, würde ich sagen. Also es geht mir noch viel durch den Kopf und ich hadere immer noch ein wenig mit dem Finale, ob ich vielleicht einen Ticken später hätte losfahren sollen. Das wird wahrscheinlich auch noch ein wenig dauern, bis ich das komplett abschalte. Aber nichts desto trotz bin ich auch echt stolz auf das Ergebnis und glücklich, wie der Tag gelaufen ist.
Wie sehr verfolgst du selbst die Berichterstattung zur Tour im Allgemeinen und speziell zu deiner Person?
Kämna: Mir wird von meiner Familie immer relativ viel zugesandt, deswegen lese ich wahrscheinlich schon recht viel, auch über mich selbst hier und da. Aber im Großen und Ganzen würde ich sagen, verfolge ich es nicht allzu sehr.
Während der Tour haltet ihr sicherlich einen strengen Ernährungsplan ein, um die Kohlenhydratspeicher wieder aufzufüllen. Nach der Tour steht dann welches Gericht auf deinem Speisenplan: Pizza, Labskaus oder Currywurst mit Pommes? Oder alles nur in anderer Reihenfolge?
Kämna: Ich habe eigentlich eine sehr süße Zunge, also nach der Tour wird's für mich wahrscheinlich eher an Eiscreme oder Schokolade oder andere Süßigkeiten ran gehen. Aber ich denke, ich werde noch ein wenig warten müssen nach der Tour – es kommen noch vier wichtige Rennen, die ich auch auf jeden Fall noch gut fahren möchte. Danach habe ich dann meine Off-Season, und dann wird alles gegessen, worauf man Lust hat – da habe ich dann keine speziellen Vorlieben.
Ihr reist ja jeden Tag von einem Hotel ins nächste. Wie macht ihr das mit eurer zu waschenden Wäsche, wer sorgt dafür? Wird das alles in den Teamtrucks gewaschen?
Kämna: Genau, wir haben im Bus eine Waschmaschine, die auch meistens schon direkt nach der Etappe angestellt wird. Das heißt sobald wir ankommen und im Kitchen Truck essen, kommt unsere Wäsche schon wieder frisch gewaschen zu uns. Die hängen wir dann abends auf und haben am nächsten Tag wieder frische Wäsche.
Diese Woche stehen die Alpen auf dem Programm. Gibt's eine Etappe, wo dein Augenmerk drauf liegt?
Kämna: Ja, ich denke, dass Etappe 16 und 18 für mich gut sind. Da werde ich dann versuchen, wieder in der Gruppe zu sein und ein gutes Rennen zu zeigen. Etappe 17 wahrscheinlich eher nicht so.
Gestern brach Titelverteidiger Egan Bernal am Schlussanstieg ein. Bekommt ihr solche Dinge über den Teamfunk mit und interessiert euch sowas dann überhaupt?
Kämna: Ja, wir sind schon immer ziemlich interessiert, was vorne abgeht und fragen im Gruppetto immer ein bisschen rum, was gerade passiert. Dass Bernal zurückgefallen ist, haben wir dann schon mitbekommen. Aber wir wussten nicht, dass es sieben Minuten sind, sondern haben nur gehört, dass er abgefallen ist und viel Zeit verliert. Das hört man dann Teamfunk oder einfach, weil man sich im Gruppetto unterhält.
Es gibt Sportler, die haben Aufkleber auf ihren Vorbauten oder Oberrohren. Wie ist das bei dir? Wie merkst du dir die Schlüsselstellen des Rennens? Auch mit Aufkleber oder eher mit Radcomputer oder Teamfunk?
Kämna: Meistens über Teamfunk. Wir haben den Aufkleber auch vorne auf dem Oberrohr, aber wenn ich ehrlich bin, gucke ich da nie drauf, weil ich das fast schon zu gefährlich finde. Bis du die Zahl, die da draufsteht, wirklich erkannt hast, brauchst du schon eine Sekunde oder auch länger – und das ist dann eine, die dir nicht fehlen darf, wenn vor dir jemand scharf bremst oder eine andere gefährliche Situation entsteht. Also ich höre eher darauf, was im Teamfunk kommt.
In der letzten Woche hattest du erzählt, dass ihr mit circa 25 Personen bei Bora-hansgrohe unterwegs seid. Wie kommuniziert ihr im Team untereinander, sodass alle immer über Essenszeiten, Abfahrzeiten, Massagen und so weiter informiert sind? Läuft das ganz einfach über zum Beispiel WhatsApp oder habt ihr dazu eine eigene Team-App?
Kämna: Genau, wir haben eine WhatsApp-Gruppe für die Tour de France, und dort bekommen wir jeden Tag einen Tagesplan. Dort steht dann drin, ab wann es Abendessen gibt, oder wann die Frühstückszeit losgeht. Die Massagezeiten spricht man individuell mit den Physiotherapeuten ab, und das funktioniert so dann eigentlich ganz gut.
Thema Corona: Die Infektionszahlen in Frankreich erreichen neue Rekorde, heißt es in den deutschen Medien. Verfolgt beziehungsweise wie verfolgt ihr das Thema? Sprecht ihr im Team unter Kollegen dazu oder ist es eher «egal», weil ihr in eurer «Blase» lebt?
Kämna: Wir verfolgen es ganz wenig. Aber klar, es ist an uns nicht vorbeigegangen, dass die Fallzahlen extrem nach oben gehen. Am Ende machen wir uns da aber nicht allzu große Sorgen. Wir nehmen jeden Tag so, wie er kommt und hoffen, dass wir die Tour zu Ende fahren können. Da wir ja auch in unserer Blase leben, ist die Angst vor einer Ansteckung nicht übermäßig groß. Und uns war allen bewusst, dass wir bei der Tour vielleicht ein höheres Ansteckungsrisiko haben als zu Hause.
Das Ende der Tour naht ja schon etwas. Wie sehr sehnt ihr euch Richtung Finale und wie wird für euch der letzte Tag und Abreise aussehen?
Kämna:Für mich wird es mit dem Auto zurückgehen, das steht schon fest. Ansonsten wird nicht viel passieren nach Paris. Vielleicht gehen wir essen, vielleicht essen wir auch einfach wieder in unserem Truck – das weiß ich noch nicht genau. Dieses Jahr ist einfach alles ein bisschen anders. Mit Sicherheit werden wir auf die Tour anstoßen, denn auch, wenn die Tour für uns nicht perfekt verlaufen ist, haben wir schon gutes Teamwork gezeigt und sind gut als Mannschaft zusammengewachsen. Da wird man dann alles nochmal ein wenig Revue passieren lassen, bevor am nächsten Morgen wieder jeder seiner Wege geht. Momentan freue ich mich aber eher auf die nächsten drei, vier Etappen als auf das Finale. Auf Paris freue ich mich natürlich auch – aber im Moment liegt der Fokus eher auf den Alpen.
Kennst du schon dein Rennprogramm für nach der Tour – und kannst vielleicht etwas davon verraten? Beschäftigt dich der Herbst oder lässt du das auf dich zukommen?
Kämna: Mein Programm wird sein: La Flèche Wallonne, Amstel Gold Race, Lüttich Bastogne-Lüttich und Brabantse Pijl. Danach bin ich schon fertig mit der Saison.
Habt ihr während der Tour «einen Kopf» für Alltagsthemen aus Deutschland? Oder verfolgt man die allgemeine Nachrichtenlage eher nicht?
Kämna: Nee, um ehrlich zu sein, habe ich die letzten zwei Wochen nicht groß verfolgt, was in Deutschland passiert. Ab und zu google ich einfach mal ein paar News, und gucke ein wenig, was passiert ist. Aber im Großen und Ganzen leben wir hier doch schon ziemlich in unserer eigenen Welt und gucken während der Tour nicht viel nach links und rechts.
Wie hat sich dein Geburtstag von anderen Tour-Tagen unterschieden? War es ein besonderer Tag für dich, und haben dir auch Fahrer anderer Teams gratuliert?
Kämna:Ja, mir wurde schon ziemlich viel gratuliert, da durch die speziellen Geburtstags-Masken natürlich auch viele gesehen haben, dass ich Geburtstag habe. Es war eigentlich ein ganz schöner Tag gewesen und auch mal ein anderer Geburtstag als sonst.
Bei der 15. Etappe seid ihr ja fast alle im Gruppetto ins Ziel gekommen. Laut Teambericht war das ja, um euch für die kommende Woche zu schonen. Könnt ihr es genießen, mal etwas ruhiger zu fahren, oder ärgert ihr euch insgeheim dann schon, nicht vorne mitzufahren?
Kämna: Ich persönlich mag das Gruppetto überhaupt nicht; Es macht mir gar keinen Spaß, im Gruppetto zu fahren. Man merkt da immer sehr intensiv, was man die letzten ein, zwei Wochen getan hat, da jegliches Adrenalin und jegliche Rennmotivation dem Körper entweicht. Man spürt die Ermüdung im Gruppetto irgendwie dreifach, weshalb ich da kein großer Freund von bin. Aber es hat gestern auf jeden Fall Sinn gemacht, ein bisschen rauszunehmen, anstatt irgendwo auf Platz 30 ins Ziel zu kommen.
Kannst du abends mit deinen Teamkollegen auch mal entspannt zusammensitzen und über Privates reden oder eine Runde zocken? Oder bleibt da keine Zeit zu?
Kämna: Wir sind ziemlich eingeplant und die Abende immer recht lang. Die Massage ist oft erst um 21 oder 22 Uhr zu Ende, je nach dem ob man vorher und nachher zum Essen geht. Von daher hat man höchstens beim Essen mal Zeit, zu schnacken. Aber wir reden wenig über Privates, sondern lachen viel und machen Witze. Mit dem Zimmerkollegen hat man manchmal aber auch «tiefere» Gespräche.
1. Teil von «Fragt den Kämna»: «Freue mich auf die Alpen»