Harrogate (dpa) - John Degenkolb war komplett durchnässt und zitterte am ganzen Körper, sein Teamkollege Pascal Ackermann gab die WM-Tortur bei der Wasserschlacht von Harrogate schon zwei Runden vor dem Ziel auf.
Die deutschen Radprofis haben zum Abschluss der Straßenrad-WM in Yorkshire eine Enttäuschung erlebt und die nächste Nullnummer im Dauerregen erdulden müssen. «Es war extrem. So etwas habe ich noch nie erlebt. Man musste jederzeit aufpassen, dass man nicht tauchen geht», sagte Degenkolb. Während der Routinier als bester Deutscher Rang 15 belegte, feierte sein Trek-Segafredo-Teamkollege Mads Pedersen aus Dänemark völlig ausgelassen den sensationellen WM-Titel.
Der 23 Jahre alte Pedersen hatte sich am Sonntag mit viel Courage in einer Gruppe festgesetzt und nach 261 knüppelharten Kilometern von Leeds nach Harrogate seine beiden Rivalen Matteo Trentin (Italien) und Stefan Küng (Schweiz) auf der Parliament Street taktisch klug distanziert - der erste dänische WM-Titel im Straßenrennen war perfekt. «Jeder ist mega überrascht. Er hat es aber auch verdient, wenn man so ein Rennen fährt. Das war schon beeindruckend», sagte Degenkolb über seinen Teamkollegen.
Die Profis des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) waren da längst abgehängt. «Ich war gut drauf, aber hatte im falschen Moment einen Plattfuß. Ich hatte nur einen Schuss und das war mein Schuss», sagte Sprinter Ackermann, der als hauptsächliche Trumpfkarte galt.
Der 25 Jahre alte Südpfälzer war nach seiner Aufgabe nach mehr als 200 Kilometern sofort im Bus und unter der Dusche verschwunden. «Das war das zäheste Rennen dieses Jahres», befand der Mann mit elf Saisonsiegen - der anspruchsvolle XXL-Kurs von Harrogate war eine Nummer zu groß für ihn. Nils Politt beschrieb: «Wir haben alles probiert. Top 10 wäre schön gewesen, aber ich denke, wir haben ein super Rennen gezeigt.»
Für das BDR-Team war es eine ernüchternde WM in Harrogate, wo vor 37 Jahren Sängerin Nicole den Eurovision Song Contest mit «Ein bisschen Frieden» gewonnen hatte. Seit 2016 gab es nun zum dritten Mal in Serie bei den Frauen und Männern keine Medaille in den olympischen Disziplinen.
Zehn Monate vor den Sommerspielen in Tokio sind die Aussichten alles andere als rosig. Allerdings machten dem BDR auch Ausfälle und Verletzungen zu schaffen: Hoffnungsträger Maximilian Schachmann, der sich nach seinen Handbrüchen bei der Tour auch noch eine Grippe eingefangen hatte, musste passen. Tony Martin war nach seinem heftigen Vuelta-Sturz angeschlagen angereist und kam in seiner Spezialdisziplin nicht über Rang neun hinaus.
Beim Schlussakt wurde eine frühe Ausreißer-Gruppe um Vuelta-Sieger Primoz Roglic vorzeitig vom Feld gestellt. Ab etwa 100 Kilometer vor dem Ziel wurde das Rennen zu einem Ausscheidungsfahren. Nicht nur Roglic und Valverde, sondern auch der gestürzte belgische Mitfavorit Philippe Gilbert und Youngster Remco Evenepoel stiegen vorzeitig aus. «Ich habe vor dem Rennen den Jungs schon gesagt: Das wird ein Rennen, von dem ihr euren Kindern erzählen werdet. Und genauso ist es gekommen», beschrieb Bundestrainer Jens Zemke die extremen Umstände.
Einmal mehr spielte das schlechte Wetter am Sonntag eine große Rolle. Dauerregen in der Nacht führte dabei zu einer Streckenverkürzung von 285 auf 261 Kilometer. Der ursprüngliche Kurs wäre sonst das längste WM-Rennen seit 1976 gewesen. Trotzdem standen Teile des Kurses noch unter Wasser. Die Fahrer kämpften sich durch tiefe Pfützen, das TV-Bild fiel bei Dauerregen, Wind und etwa 10 Grad zeitweise komplett aus. «Das ist ein echtes Männerrennen», kommentierte der erschöpfte deutsche Fahrer Marcus Burghardt, nachdem er vorzeitig ausstieg.
Die Frauen hatten am Samstag noch deutlich besseres Wetter angetroffen. Dabei sorgte Annemiek van Vleuten für einen denkwürdigen Auftritt. Nach einer 105 Kilometer langen Alleinfahrt holte sich die Niederländerin mit über zwei Minuten Vorsprung den WM-Titel. Für die 36-Jährige war es der erste Sieg bei einem großen Rennen im Nationaltrikot, nachdem sie bei den Olympischen Spielen in Rio in Führung liegend fürchterlich gestürzt war. Beste Deutsche war Lisa Brennauer (Durach) mit über fünf Minuten Rückstand auf Platz neun.
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