Stuttgart (dpa) - Der Richter wollte um 17.00 Uhr Schluss machen, Hans-Michael Holczer eigentlich weiterreden. Dann ließ sich der Chef des früheren Gerolsteiner Rennstalls aber doch zum Wiederkommen vor die 16. Große Strafkammer des Landgerichts Stuttgart überreden.
Der vermeintliche Showdown mit der Verteidigung des angeklagten Radprofis Stefan Schumacher wurde auf kommenden Dienstag, 12.30 Uhr, verschoben.
Am dritten Verhandlungstag wollen Michael Lehner und Dieter Rössner den Zeugen Holczer aus seiner «rosaroten Welt» holen. «Wenn Schumacher freigesprochen wird, ist von Holczers Lack nichts mehr vorhanden», prophezeite der Heidelberger Sportrechtsexperte Lehner nicht gerade zurückhaltend. Das wäre freilich der Idealfall aus Sicht der Verteidigung.
Bisher hat sich im ersten deutschen Betrugs-Prozess wegen Dopings noch nicht herauskristallisiert, wer lügt. Schumacher, der behauptet, Holczer hätte vieles über die vorhandene Doping-Verseuchung im scheinbar so sympathischen Team gewusst? Oder Holczer, der auch am zweiten Verhandlungstag in seiner tief ins Detail gehenden Befragung durch den Richter Mitwisserschaft bestritt. Sein Fazit zu den vorangegangenen Schumacher-Aussagen: «Vollkommen gelogen» und »blank erfunden».
Beim ersten Zusammentreffen der beiden seit einem Arbeitsgerichtsprozess 2009 blickte Holczer ab und an streng in Richtung Schumacher. Dem Angeklagten schienen bei Holczers Schilderungen der Welt im Team Gerolsteiner bisweilen fast die Augen zuzufallen. Der Pädagoge aus Herrenberg wirkte gewohnt eloquent und parlierte fast drei Stunden. Weder Schumacher, Verteidigung oder der Staatsanwalt kamen zu Wort, nur Richter Martin Friedrich drang mit Zwischenfragen sporadisch durch.
Mit kleinen roten Zetteln hat sich Lehner Passagen in Holczers 2010 erschienenem Buch «Garantiert Positiv» markiert. Er will den vermeintlich unbeugsamen Anti-Doping-Kämpfer mit dessen eigenen Worten schlagen und beweisen, dass der 59 Jahre alte Mathematik- und Geschichtslehrer sehr wohl über die illegalen Praktiken Bescheid wusste. Er und sein Kollege Rössner («Holczer glaubt wahrscheinlich selber, was er erzählt») sehen sich gewappnet.
Der Zeuge verschwand an der Seite seiner Frau nach dem Prozess am Donnerstag fast wortlos. Schumacher, der trotz einer Gehirnerschütterung und Verletzungen am Rücken nach einem Sturz vom vergangenen Sonntag erschienen war, gab sich leutselig. Allen, die es hören wollten, sagte der geständige Doper, dessen Weg zur Wahrheit nach jahrelangem Leugnen sehr beschwerlich war: «Jetzt fahre ich absolut sauber».
Gegen eine Zahlung von 10 000 bis 15 000 Euro hätte sich Schumacher den Prozess gegen ihn nach Angaben seiner Anwälte ersparen können. Rössner sagte der Nachrichtenagentur dpa am Freitag, diese Summe entspreche den 180 Tagessätzen, auf die man sich mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht beinahe geeinigt hätte. Der Arztsohn schlug das Angebot Ende November aber aus. «Ich habe nicht betrogen», unterstrich der 31-Jährige noch einmal.
Ihm wird vorgeworfen, seinen ehemaligen Teamchef um drei Monatsgehälter in Höhe von 151 463,50 Euro betrogen zu haben. Schumacher habe Doping bei der Tour de France 2008 trotz Nachfrage geleugnet und das Geld daher unrechtmäßig erhalten. Im Nachhinein war er wie bei den Olympischen Spielen in Peking positiv getestet und danach gesperrt worden.