Martello (dpa) - Zeitenwende im Radsport: Kolumbianische Radprofis galten bislang als exzellente Kletterer. Ein Rundfahrtsieg war bislang aber nur dem legendären «Lucho» Herrera bei der spanischen Vuelta 1987 vergönnt.
Mangelnde Widerstandsfähigkeit im Flachen und besonders Defizite beim Zeitfahren galten immer als die Ursachen. Das hat dank einer neuen Fahrergeneration jetzt ein Ende. Die Kolumbianer Nairo Quintana, im Vorjahr Zweiter der Tour de France, und Rigoberto Uran beherrschen den 97. Giro d'Italia.
Uran bewies in der vergangenen Woche besondere Zeitfahr-Qualitäten. Der Silbermedaillengewinner von London klaute mit einem bemerkenswerten Erfolg im Kampf gegen die Uhr in der nur sanft hügligen Weingegend Barolo dem früheren Toursieger Cadel Evans sogar das Rosa Trikot. «Wir Kolumbianer sind nicht mehr nur Kletterer. Wir gewinnen jetzt auch bei flachen Zeitfahren», stellte der Omega-Profi mit einem breiten Lachen fest. Sicher wird er dabei vom Zeitfahr-Knowhow des Tony Martin-Rennstalls mit Windkanaltests und ausgefeiltem Material profitiert haben. Er bringt aber auch selbst das Leistungsvermögen mit, um auf der Ebene der Konkurrenz Paroli zu bieten.
Ähnliches gilt für seinen Landsmann Quintana, seit Dienstag im Rosa Trikot. Der ist zwar ein noch explosiverer Kletterer als Uran, aber auch im Zeitfahren nicht leicht abzuschütteln. Diese Erfahrung machte im vergangenen Jahr Tony Martin. Beim Kampf gegen die Uhr bei der Baskenlandrundfahrt nahm der Weltmeister als Etappensieger dem zweitplatzierten Quintana nur 17 Sekunden ab. Die 2:41 Minuten Rückstand auf Uran beim Giro-Zeitfahren führte Quintana vor allem auf eine Erkältung zurück: «Die Beine waren da, aber ich habe keine Luft in die Lungen bekommen.»
Auf der Abfahrt vom Stilfser Joch auf der 16. Etappe am Dienstag bewies der Movistar-Kapitän dann, dass er auch das Geschäft der Bergab-Attacken beherrscht - und im Flachen selbst den Rouleur-Qualitäten des früheren Zeitfahrweltmeisters Michael Rogers standhalten kann. Zwei Minuten Vorsprung holte er auf Uran bergab heraus. Das führte zu einigen Polemiken vor allem mit den Fahrern, die von einer Neutralisation des Kurses auf der Abfahrt ausgegangen waren. Die hatte es nicht gegeben, aber es war eine «Safety-Bike»-Phase mit Motorrädern avisiert worden, die die verschiedenen Fahrergruppen sicher durch die teils verschneite Abfahrt geleiten sollten. Von den Motorrädern war dann nichts zu sehen. Und Quintana jagte ungeleitet die Abfahrt hinunter.
Quintanas Leistungen und auch die des zweitplatzierten Uran fügen sich in einen beeindruckenden Gesamtauftritt weiterer Landsleute ein. Carlos Betancur, im Vorjahr noch bester Nachwuchsfahrer beim Giro, gewann in dieser Saison Paris-Nizza. Julian Arredondo trägt aktuell das Rote Bergtrikot beim Giro, und in Sergio Henao und Fabio Duarte liegen weitere Talente in Lauerstellung. «Das nächste Jahrzehnt wird im Radsport ein kolumbianisches», prophezeite Uran, als er noch in rosa war. Der Mann muss es wissen.
Giro-Doppelschlag von Quintana: Tagessieg und Spitze