Chateauroux (dpa) - Als Etappensieger Mark Cavendish alle Teamkollegen einzeln innig herzte und küsste, trauerte André Greipel seiner verpassten Großchance bei der Tour de France hinterher.
Wenige Zentimeter trennten den Sprinter aus Rostock in Chateauroux auf Platz drei vom größten Erfolg seiner Karriere gegen seinen «speziellen» Freund. «Wenn man gewinnen will, muss man etwas riskieren, ich wollte Cavendish überraschen», sagte Greipel.
Nach 218 Kilometern hatte er von weit hinten kommend früh den Massenspurt angezogen - auch weil er gegen die geballte Macht der HTC-Mannschaft des Briten keine andere Chance sah. «Ein Cavendish in dieser Form und in der heutigen Konstellation ist wohl nicht zu schlagen», betonte HTC-Betreuer Erik Zabel. Der Norweger Thor Hushovd verteidigte das Gelbe Trikot als Führender des Gesamtklassements.
Nach seinem 17. Tour-Etappenerfolg verteilte Cavendish großzügig Küsschen an seine acht Teamkollegen. Diese hatten ihm den Weg in vorbildlichem Teamwork bereitet. «Das war eine Super-Arbeit vom ganzen Team», betonte Cavendish-Anfahrer Tony Martin. «Gestern taten mir die Beine zum ersten Mal ein bisschen weh. Heute ging es aber wieder und ich bin für die nächsten Tage optimistisch.»
Der Wahl-Schweizer kletterte im Gesamtklassement auf den achten Rang und ist damit hinter Andreas Klöden (RadioShack) weiter zweitbester Deutscher. Der Routinier, der in seiner Karriere schon zweimal Tour-Zweiter war, bekam von seinem Teamchef Johan Bruyneel endlich offiziell die Kapitänsweihe: «Natürlich ist er jetzt unsere Nummer eins.» Grund dafür war das Pech von Levi Leipheimer und Chris Horner, die stürzten. Beide kamen ins Ziel - aber Horner musste nach seinem Unfall völlig benommen zum Teambus geführt werden. «Er wusste gar nicht, dass er gestürzt war», sagte ein Teamsprecher.
Einen Feiertag erlebte indes HTC und vor allem Cavendish, der an seinen ersten Tour-Erfolg vor drei Jahren in Chateauroux - wo Stefan Schumacher 2008 als letzter Deutscher Gelb trug - erinnerte: «Das war eine spezielle Etappe für mich. Wenn ich alle Etappen in diesem Jahr anschaue, dann ist das die gewesen, die ich unbedingt gewinnen wollte», ergänzte Cavendish, an dessen Hinterrad sich der Italiener Alessandro Petacchi als Zweiter fast nach ganz vorn gezogen hatte.
Greipel verpasste bei seiner Tour-Premiere erneut den Erfolg und scheiterte dabei ausgerechnet an Cavendish. Dessen Übermacht im Team HTC hatte dem Deutschen in den Vorjahren den Weg zur Tour versperrt. Erst ein Wechsel zum Omega-Team nach Belgien verhalf dem 28-Jährigen zur späten Tour-Premiere. Anders als sonst fand Cavendish für Greipel lobende Worte: «Ich respektiere ihn. Ich wusste, dass er von weit hinten kam, als er mich passierte, und dass er diesen Speed nicht durchhalten konnte. Er hat alles versucht.»
Wie schon die Etappen zuvor war auch dieses Teilstück von Stürzen geprägt und forderte prominente Opfer: Sky-Kapitän und Dauphiné- Sieger Bradley Wiggins aus England kam knapp 40 Kilometer vor dem Ziel zu Fall. Mit schmerzverzerrtem Gesicht wurde der Tour-Vierte von 2009 und Bahn-Olympiasieger von 2008 an der Schulter behandelt - ehe sein Aus feststand. «Es tut mir unglaublich leid für Bradley», meinte Sieger Cavendish. «Er war in der Form seines Lebens.» Am Mittwoch war in Janez Brajkovic schon ein Top-Fahrer verletzt ausgeschieden.
Auch für Ex-Weltmeister Tom Boonen endete das Tour-Abenteuer am Freitag. Der Belgier, der sich am Mittwoch bei einem Sturz an Kopf und Schulter verletzt hatte, stieg noch vor der Hälfte der Etappe vom Rad und in den Begleitwagen. An den beiden Vortagen hatte sich der Profi vom Team Quick Step noch ins Ziel gequält. 2007 hatte Boonen das Grüne Trikot des Punktbesten erobert, ein Jahr später war er wegen einer Kokain-Affäre nicht zum Start zugelassen worden.