Mendrisio (dpa) - Bevor Tony Martin im Oktober als Polizeimeister in Erfurt vielleicht den Verkehr regelt, hat er einen wichtigen Auftrag. Im WM-Zeitfahren im schweizerischen Mendrisio will die deutsche Entdeckung der Tour de France eine Medaille. «Die Strecke mit einer knackigen Steigung liegt mir. Ich will in die Medaillenränge fahren», sagte Martin vor der 49,8 Kilometer-Prüfung am 24. September. Martin fühlt sich auf einer Leistungs-Höhe mit Titelverteidiger Bert Grabsch. Und der hat wiederum nicht mal Angst vor dem übermächtigen Olympiasieger Fabian Cancellara hat, der der Konkurrenz wie die Eiger Nordwand im Wege steht und sein Heimspiel zum Triumphzug machen möchte. «Mein Ziel ist natürlich eine Medaille, und ich rechne mir auch Chancen auf Gold aus - sonst bräuchte ich ja gar nicht anzutreten», sagte Grabsch. Der Titelverteidiger hatte wegen der WM wie viele Konkurrenten auch die Vuelta früher beendet.
Seine Bilanz nach einem Jahr im Regenbogen-Trikot fällt durchwachsen aus: «Der Titel hat mir wirtschaftlich nichts gebracht», so Grabsch. Auch der Verband muss weiter sparen: «Für die jetzige WM haben wir vom Verband ein T-Shirt erhalten, nicht mal einen Trainingsanzug», so Grabsch zu der eher bescheidenen Ausstattung in Zeiten der Wirtschaftskrise und fortwährender Doping-Diskussionen. Sein Columbia-HTC-Teamkollege Martin kann da weniger klagen. «Nach der Tour habe ich meinen Vertrag bis 2012 verlängert - zu sehr günstigen Bedingungen. Ich bin zufrieden», sagte «Rohdiamant» Martin, der das Potenzial eines zukünftigen Toursiegers haben könnte. Ein von Andreas Klöden während der Tour vorgebrachtes Gesprächsangebot wegen eines möglichen Wechsels 2010 in Lance Armstrongs neues RadioShack-Team lehnte er ab.
Der 24-jährige Martin, im Juli in Frankreich bis zu seinem sportlichen «Einbruch» 14 Tage im Weißen Trikot des besten Nachwuchsfahrers unterwegs und Zweiter auf dem Mont Ventoux, schaut auch über den Tellerrand hinaus. Um den Beamten-Status zu erlangen, beendet er seine Polizei-Ausbildung in Thüringen und opfert dafür auch Urlaubstage. Für kurze Zeit wird er dabei auch wieder in den Dienst in Uniform zurückkehren.
Erst im Nachhinein realisiert Martin langsam, was er bei seinem Tour-Debüt geleistet hat. «Das Interesse von vielen an mir ist jetzt so groß. Das ist eine komische Situation. Ich versuche, das alles nicht so an mich heranzulassen, und ich will so bleiben, wie ich bin», sagte der in Eschborn lebende Cottbuser, der mit seinem Eltern kurz vor der Wende in den Westen geflüchtet war.
Seine Projekte umreißt er bescheiden: «Mein Fixpunkt ist natürlich die Tour, bei der ich eine konstante Leistung über drei Wochen bringen will. Ob das dann schon im nächsten Jahr für die Top Ten reicht, weiß ich nicht. Außerdem ist das Zeitfahren bei den Olympischen Spielen in London ein großes Ziel».