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André Greipel (r) setzt im Sprint und mit «Tigersprung» gegen den Slowaken Peter Sagan durch. Foto: Guillaume Horcajuelo
15.07.2012 13:56
Gorilla mit Tigersprung: Greipel reif für Olympia-Gold?

Cap d'Agde/Limoux (dpa) - In der Form seines Lebens kommt André Greipel der Sommer 2012 gerade recht. In Frankreich hat sich der Rostocker spätestens mit seinem dritten Tagessieg zum Sprintkönig der 99. Tour de France aufgeschwungen - und der goldene Höhepunkt der Saison steht noch bevor.

Nach den furiosen Etappenerfolgen in Rouen, Saint-Quentin und Cap d'Agde will Greipel auch bei Olympia in London den Topfavoriten Mark Cavendish ausstechen und zu Glanz und Gloria sprinten. Wenn es eines Beweises bedurfte, dass der muskelbepackte Radprofi dafür reif ist, hat er ihn am Samstag an der französischen Mittelmeerküste eindrucksvoll erbracht.

Nach langen 217 Kilometern, vor allem aber einem giftigen Anstieg und einer chaotischen Verfolgungsjagd kurz vor dem Ziel, hatte sich Greipel vor dem derzeit famosen slowakischen Youngster Peter Sagan und Edvald Boasson-Hagen aus Norwegen durchgesetzt. «Ich mag es, mich selbst herauszufordern», sagte der Sieger im Anschluss.

Dass der insgesamt vierte Tagessieg bei der schwersten Rundfahrt der Welt - 2011 feierte Greipel in Carmaux seine Premiere - eben keinem gewöhnlichen Massensprint entsprang, macht ihn nur noch stolzer. «Dafür trainiere ich ja auch», sagte der Lotto-Belisol-Profi. Mit einem finalen Tigersprung hatte er den Sieg vor Sagan gerettet - mit diesem typischen Sprinter-Ruck machte er die entscheidenden Zentimeter im Ziel gut.

Wenn Greipel mit stets leiser Stimme und sehr bescheiden statt polternd seine Siege kommentiert, kann man fast nicht glauben, dass dies der Mann mit dem Spitznamen «Gorilla» ist, der der Konkurrenz immer wieder davonfährt. «Greipel ist ein Kraftmonster», sagte Sean Kelly, der Sprintdominator der 80er Jahre, in der «L'Équipe».

Allerdings wird die Charakterisierung dem lange unterschätzten Radprofi derzeit nicht gerecht. Im Gegenteil: In Cap d'Agde gewann Greipel nicht nur wegen seiner Beine, sondern auch mit Köpfchen. Als ihm sein gewohnter Lotto-Sprinterzug auf dem letzten Kilometer nicht mehr zur Seite stand, wählte Greipel Hinterrad und Windschatten von Sky-Fahrer Boasson-Hagen, um kurz vor der Ziellinie vorbeizuziehen. «Ich habe spekuliert», räumte Greipel danach zufrieden ein.

Überzeugend war zudem seine Vorstellung am selektiven Anstieg auf den Mont Saint-Clair, 23 Kilometer vor dem Ziel. Während andere Sprintspezialisten wie Cavendish oder Matthew Goss abgehängt wurden, blieb Greipel dank eines kurzen Kraftakts vor dem Gipfel dran. «Er stand auf der Kippe», berichtete Teamkollege Marcel Sieberg. Die «L'Équipe» gab dem «Gorilla» für seinen Auftritt 10 von 10 möglichen Punkten.

Greipels Stärken bei schwierigen Sprints und anspruchsvollen Anstiegen («Ich war in jungen Jahren mal deutscher Bergmeister - das hat mir geholfen.») könnten in London Gold wert sein. Bei Olympia wird es die klassischen Sprinterzüge nicht geben, außerdem ist auf der Strecke der schwierige Boxhill-Anstieg mehrmals zu bewältigen.

Greipel will den Olympiasieg - auf eine martialische Kampfansage wartet man bei dem Familienvater aber vergeblich. Vielmehr lobt er seine deutschen Auswahlkollegen Tony Martin («einer der stärksten, um Ausreißer einzufangen»), Bert Grabsch («ein Motor») sowie das Duo Sieberg und John Degenkolb, die ihm auf dem hügeligen Parcours ebenfalls zur Seite stehen sollen. «Ein paar Dinge haben wir schon im Kopf», verriet der letztjährige WM-Dritte von Kopenhagen.

Bis zum Olympia-Straßenrennen am 28. Juli wird Greipel aber nicht die Beine hochlegen. Drei potenzielle Sprintetappen stehen noch an, etwa am Montag - Greipels 30. Geburtstag - sowie beim Finale am abschließenden Sonntag auf den Pariser Champs-Élysées.

Es ist denkbar, dass der Rostocker schon vor London deutsche Radsport-Geschichte schreibt: Rekordhalter Didi Thurau siegte 1977 bei fünf Tour-Etappen, mit drei Erfolgen in einem Jahr zog Greipel bereits mit Rudi Altig (1963 und 1966), Erik Zabel (1997 und 2001) und Jan Ullrich (1998) gleich. Vergleiche mit Tour-Sprintkönig Zabel lehnt er bescheiden wie immer ab - Ullrichs Olympia-Sieg von Sydney 2000 würde er in knapp zwei Wochen aber freilich gerne wiederholen.


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