London (dpa) - Ungläubig griffen sich Miriam Welte und Kristina Vogel an den Kopf und konnten ihr verspätetes Gold-Glück kaum fassen. Die beiden Teamsprinterinnen hatten schon erste Interviews zum zweiten Platz gegeben, als sie plötzlich im olympischen Rad-Oval als Olympiasiegerinnen dastanden.
Völlig überrascht schauten sich beide an: Gold - Wirklich? «Das muss ich erst einmal sacken lassen», meinte Miriam Welte und auch Kristina Vogel wusste nicht, wie ihr geschah: «Soviel Glück auf unserer Seite - komisch.»
Weil die im Finale schnelleren Chinesinnen wegen eines Wechselfehlers zurückgestuft wurden und sich mit Silber begnügen mussten, feierten die Weltmeisterinnen den größten Triumph ihrer Karriere. «Olympiasieger - ein Traum ist wahrgeworden», freute sich Vogel an einem völlig verrückten Donnerstagbend in London.
«So will man eigentlich nicht gewinnen, aber die Regeln sind nun mal für alle da», sagte die Thüringerin, bevor sie mit ihrer Teamgefährtin in eine lange Partynacht startete. «So viel Glück hat man selten im Leben. Ein Podiumsplatz war verdient. Dass es Gold wurde, ist für die anderen schade, für uns gut», sagte Bundestrainer Detlef Uibel.
Anschließend rasten René Enders (Erfurt), Robert Förstemann (Gera) und Maximilian Levy (Cottbus) zu Bronze. Gold ging unter dem Jubel von 6000 Zuschauern an Gastgeber Großbritannien mit dem Idol Sir Chris Hoy, der sich mit seiner fünften Goldmedaille zum erfolgreichsten Radsportler der Olympia-Geschichte aufschwang.
Welte hatte nach dem Gold-Coup Mühe, ihr Glück zu begreifen. «Das ist natürlich komisch, durch zwei Wechselfehler Olympiasieger zu werden. Der Frauen-Teamsprint ist das erste Mal olympisch, und deswegen haben wir jetzt Geschichte geschrieben. An unsere Namen wird man sich erinnern», jubelte sie.
Schon vor dem Finale hatte das deutsche Frauen-Paar aus Kaiserslautern und Erfurt vom Pech der Konkurrenz profitiert. Großbritannien war wie später China schneller unterwegs, wurde aber ebenfalls wegen eines Wechselfehlers bestraft.
Den tollen ersten Tag auf der Bahn, der dem deutschen Olympia-Team das vierte Gold in London bescherte, rundete das Männer-Trio ab. Obwohl Stefan Nimke kurz vor dem Wettkampf verletzt passen und durch Förstemann ersetzt werden musste, wurde Weltmeister Australien im kleinen Finale bezwungen.
«Robert wurde quasi ins kalte Wasser geschmissen», sagte Levy und lobte die Leistung des Ersatzmannes. «Es war ein sehr harter Kampf, gerade auch gegen den Kopf. Unter diesen Umständen können wir zufrieden sein, eine Medaille gewonnen zu haben.» Enders räumte ein: «Wir hatten andere Ziele.» Respekt äußerte er vor dem «Mut» von Nimke, auf das Rennen lieber zu verzichten.
Das von den Deutschen erhoffte Gold schnappten sich die unangefochtenen Briten mit dem vielumjubelten Supermann Hoy als Schlussfahrer. Der 36-Jährige ist nun gemeinsam mit dem Ruderer Steve Redgrave britischer Rekord-Olympiasieger. Der harte Schotte Hoy zeigte sich danach von seiner weichen Seite und verdrückte bei der Siegerehrung ein paar Tränen.
Das Velodrom glich nach dem Heimsieg einer Disco mit royalem Touch. Premierminister David Cameron und die Prinzen William mit Gattin Kate und Harry jubelten zu den Klängen von David Bowies «Heroes». «So jemand Prominentes guckt sich Bahnradsport an - das ist doch toll», fand Kristina Vogel, die ähnlichen Zuspruch aus Deutschland nicht kennt.
Die Halle stand Kopf. 6000 Zuschauer in der bis auf den letzten Platz gefüllten Arena verwandelten den futuristischen Bau im Olympia-Park in einen Hexenkessel und intonierten in einem Meer von Union Jacks vielstimmig die Nationalhymne. Von der Stimmung ließen sich auch Welte und Vogel mitreißen - sie sangen bei der Siegerehrung die deutsche Nationalhymne Arm in Arm lautstark mit.