Rom (dpa) - Am Anfang stand ein Amerikaner im Rampenlicht, am Ende triumphierte beim 100. Giro-Geburtstag ein Russe. Vor dem Kolosseum in Rom streifte sich Denis Mentschow zum letzten Mal nach 3456 Kilometern das Rosa Trikot über. Auch ein Sturz im abschließenden Zeitfahren hatte dem Fahrer des Rabobank-Teams nichts mehr anhaben können. 41 Sekunden Vorsprung vor dem hartnäckigen Kämpfer Danilo di Luca reichten dem 31-Jährigen, der bereits zweimal die Spanien-Rundfahrt gewann. Lance Armstrong, der von den Organisatoren Anfang Mai noch auf einen überdimensionierten Thron gehoben wurde, spielte bei der Vergabe von Trikots und Siegprämien keine Rolle. Auch nicht im Finale im vom Außenseiter Ignatas Konovalovas gewonnenen Zeitfahren über 14,4 Kilometer, das Armstrong auf regennasser Piste fast im Schneckentempo als 53. beendete.Der 37-jährige Texaner, zu seiner Hochzeit siebenmal Sieger der Tour de Fance, drehte auf seinen von Graffiti-Künstlern veredelten Rennmaschinen ein paar gut bezahlte Runden. Er ließ sich mit Krebsüberlebenden fotografieren und er sputete sich nach dem Finale, ein Flugzeug nach Colorado zu erwischen, wo in wenigen Tagen sein viertes Kind das Licht der Welt erblicken wird. In der Endabrechnung belegte er bei seiner Giro-Premiere Rang zwölf mit 15:59 Minuten Rückstand auf Mentschow, der nach dem Zeitfahr-Krimi ausgelassen jubelte: «Dieser Sieg zählt mehr, als die beiden Vuelta-Erfolge.»
Star des Empfangs beim Staatspräsidenten Giorgio Napoletano nach dem 92. Giro d'Italia war nicht der vor dem Rennen von Außenminister Frattini empfangende Anti-Krebs-Botschafter aus Texas, sondern der dritte russsiche Giro-Sieger nach Jewgeni Berzin und Pawel Tonkow. Mentschow hatten viele auf der Rechnung. Er gilt seit Jahren als ein potenzieller Protagonist bei großen Rundfahrten. Doch bis auf 2007, als er in überzeugender Manier die Vuelta gewann, hatte immer ein schwacher Tag die Ambitionen des Russen aus Orel durchkreuzt. Sein erster Vueltasieg 2005 war ihm nach der Doping-Disqualifizierung von Roberto Heras zuerkannt worden.
Auch bei der Wertung dieses Giro verhält es sich wie mit den Lottozahlen: Ohne Gewähr. Über Mentschow, der in 100 Jahren Giro einen neuen Stundenmittel-Rekord herausfuhr (40,12), schwebt der Verdacht, in die Humanplasma-Affäre verwickelt zu sein. Er bestreitet die Vorwürfe, äußerte beim Giro aber seine Bereitschaft, der Wiener SOKO Rede und Antwort zu stehen. Dabei lächelt er fast scheu.
Sein Team Rabobank hat aus dem Krisen-Management des Falles Rasmussen gelernt, der nach widersprüchlichen Angaben über seine Aufenthaltsorte von der Tour de France 2007 ausgeschlossen wurde. Mentschow aber fuhr bis Rom. Er hielt sich den bis zum Schluss beherzt attackierenden di Luca vom Leibe, der auch seine Doping-Erfahrungen hat: Wegen Kontakten zum der Justiz bestens bekannten Mediziner Carlo Santuccione war di Luca im Vorjahr mit einer Wettkampfsperre belegt worden. Der Mann aus den Abruzzen tat sich zwar als Spendeneintreiber für seine vom Erdbeben verwüstete Heimatregion hervor - ein Sportsmann ohne Fehl und Tadel ist er aber sicher nicht.
Auf der 100 Jahre alten Giro-Bühne boten beide immerhin eine große Show - offensichtlich hatte Giro-Chef Angelo Zomegnan im Vorfeld alles getan, damit die Geburtstagsfeier nicht etwa von der Polizei gestört werden konnte. Di Luca hatte die Rolle des nimmermüden Angreifers, Mentschow verteidigte seinen beim Zeitfahren in Riomaggiore eroberten Vorsprung mit kalter Eleganz. Armstrong war dabei nicht einmal Zuschauer. Wenn der Mann in rosa und der Mann in violett sich am späten Nachmittag beharkten, war der prominente Rückkehrer meist schon ein, zwei Minuten zurück.
Nach den Worten seines Teamchefs Johan Bruyneel liegt der Texaner, der dreieinhalb Jahre Wettkampfpause aufholen muss und durch eine knapp zurückliegende Schlüsselbein-OP gehandicapt war, aber gut im Trainingsplan. «Wir haben fünf Wochen Zeit bis Tour-Beginn. Das reicht, damit in Frankreich an ganz anderer am Start steht», sagte der Belgier der Deutschen Presse-Agentur dpa. An großen Ankündigungen aus der Richtung des Armstrong-Mentors hatte es vor dem Beginn des Giro allerdings auch nicht gemangelt.