Kopenhagen (dpa) - Tadej Pogacar nutzte die seltene Gelegenheit für einen kleinen Flirt.
«Sie sehen wunderbar in Ihrem Kleid aus. Kann ich Ihre Nummer haben?», fragte der 23 Jahre alte Top-Favorit der Tour de France die Moderatorin der Teampräsentation mit einem Lausbubengrinsen. Tiefenentspannt und bestens gelaunt gab sich der Titelverteidiger kurz vor dem Start und eroberte im Kopenhagener Freizeitpark Tivoli die Herzen der Dänen mit lockeren Sprüchen: «Ich habe gehört, hier gibt es nicht viele Berge und Sie mögen Kartoffeln.» Die Menge grölte.
Diese Leichtigkeit ist längst Pogacars Markenzeichen, er wird sie wieder durch die dreiwöchige Tortur durch Alpen und Pyrenäen tragen wollen. «Wir werden bis zum Ende lächeln, egal was passiert», betonte Pogacar. Sein Dauergrinsen könnte er wohl höchstens durch ein Verpassen des dritten Tour-Siegs verlieren. Allerdings wäre alles andere als ein erneuter Triumph auf den Pariser Champs-Élysées eine Überraschung. Zu leichtfüßig, zu unantastbar präsentierte sich Pogacar bei der vergangenen Tour und auch in diesem Jahr schon. Der Slowene nahm an drei Rundfahrten teil - und gewann alle.
Corona als größte Gefahr - gelockerte Regeln
Die größte Gefahr für Pogacar ist unsichtbar. Denn die neue Coronavirus-Welle beschäftigt und trifft auch das Peloton. Erst am Mittwoch musste Pogacars Helfer Matteo Trentin das Rennen vor dem Start wegen eines positiven Tests verlassen. Ein dann doch schon etwas härterer Schlag, schließlich sollte der erfahrene und wattstarke Trentin Pogacar in der gefährlichen ersten Woche beschützen.
Der Weltverband UCI hat die Corona-Regeln sogar gelockert. Statt PCR- sind nun nur noch Schnelltests nötig, und wenn zwei Fahrer einer Mannschaft positiv sind, muss nicht gleich wie bisher das ganze Team packen. Zudem kann ein Fahrer selbst bei einem positiven Test theoretisch im Rennen bleiben - wenn er nachweislich symptomfrei und nicht ansteckend ist. «Wir haben teamintern die Regeln wieder verschärft und tragen auch wieder im Bus Maske», sagte der deutsche Routinier John Degenkolb.
Wer schlägt das «Wunderkind»?
Auf den 3346,6 Kilometern Straße über 21 Etappen wird Pogacar nur schwer zu knacken sein. «Er ist ein wahres Radsport-Wunderkind», sagte der zweimalige Tour-Sieger Alberto Contador. Der 39 Jahre alte Spanier arbeitet heute als TV-Experte und bewundert an Pogacar vor allem dessen Leichtigkeit. «Tadej kann mit gewaltigem Stress so umgehen, als interessiert ihn das überhaupt nicht. Er tut so, als wäre es das Normalste der Welt. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Druck eine echte Herausforderung sein kann.»
Die Konkurrenz will Pogacar trotzdem stressen, wo es nur geht. Allen voran das Team Jumbo-Visma mit Chef-Herausforderer Primoz Roglic. Der Slowene hat im Dänen Jonas Vingegaard den Vorjahreszweiten an seiner Seite und auch sonst ein immens starkes Team mit diversen Optionen für Attacken. «Wir glauben fest daran, dass wir Tadej schlagen können», sagte Roglic. Dem 32-Jährigen läuft so langsam die Zeit davon, der Traum vom Tour-Sieg droht zu zerplatzen.
Ein weiterer Podiumskandidat ist der Russe Alexander Wlassow in Diensten des deutschen Rennstalls Bora-hansgrohe. «Ich hoffe, dass ich hier um den Sieg mitfahren kann», sagte Wlassow. Neben Pogacar ist der 26-Jährige in diesem Jahr der beste Rundfahrer. Ihm fehlt es allerdings an Zeitfahrqualitäten, was Wlassow nicht sonderlich kümmert: «Die Tour wird in den Bergen entschieden.»
Dort braucht er aber einen sichereren Halt auf dem Rad als bei der Teampräsentation. Im Rahmen des Spektakels stürzte der Kletterspezialist leicht, Schürfwunden an Knie und Ellenbogen zeugten davon. «Es war nur ein kleiner Sturz», betonte Wlassow. Er wird ihm beim 13,2 Kilometer langen Auftaktzeitfahren am Freitag nicht behindern.
Zeitfahren als Zeichen
Eine große Bedeutung hat die kurze Hatz durch Kopenhagens Innenstadt trotzdem. Roglic und Co. müssen ein Zeichen gegen den Dominator Pogacar setzen, selbst wenn sie nur einige wenige Sekunden herausfahren. Denn nur so werden sie es schaffen, Druck auf Pogacar auszuüben. Zur ersten schweren Bergprüfung kommt es erst am kommenden Freitag auf der bis zu 24 Prozent steilen Skipiste nach La Super Planche des Belles Filles.
Dort werden die neun deutschen Profis wohl keine Rolle spielen. Die meisten sind als Helfer eingespannt, Fahrer wie Lennard Kämna, Maximilian Schachmann und Nils Politt hoffen zudem auf Ausreißersiege auf welligem Terrain.