Valkenburg (dapd) - Eigentlich wird alles so sein wie immer. Judith Arndt wird ein paar Mal tief durchatmen, der Blick starr nach vorn gehen, die Konzentration ganz dem schrillen Piepen der Zeitmessanlage gelten. Doch etwas wird anders sein, wenn die mittlerweile 36-Jährige bei der WM in Valkenburg am Mittwoch von der Startrampe rollt. Es wird das letzte Zeitfahren ihrer Karriere sein.
Noch einmal wird sie sich quälen, diesmal sind es 24,3 Kilometer durch die niederländischen Ardennenausläufer mit zwei giftigen Anstiegen. Am Samstag steht dann noch das Straßenrennen auf dem Programm, dann ist die Karriere offiziell beendet. Es ist so etwas wie das Jahr der letzten Male für Arndt. Zum letzten Mal nahm die Leipzigerin im August an den Olympischen Spielen teil, zum letzten Mal fuhr sie Weltcuprennen, zum letzten Mal kämpfte sie am Sonntag im Trikot ihres Teams Orica um den Sieg.
Arndt wird noch einmal Vollgas geben. Die letzten WM-Kilometer einfach genießen, die einmalige Atmosphäre aufsaugen - das entspricht nicht dem Naturell der Olympiazweiten. «Ich sehe vom Kopf her eher die Gefahr, dass man es zu locker nimmt. Dass man sich, wenn es anfängt, richtig wehzutun, sagt: 'Was soll's, es ist eh mein letztes Rennen'», sagt Arndt im Gespräch mit dapd.
Sportlich gehört Arndt noch immer zur Weltspitze, doch der Kopf macht nach anderthalb Jahrzehnten des Nomadenlebens eines Radprofis nicht mehr mit. Es gab etliche Freunde, Bekannte und Weggefährten, die im Verlauf des Jahres versucht haben, Arndt noch einmal umzustimmen. Doch allen sagte sie freundlich aber bestimmt, dass ihre Zeit auf dem Rad am 22. September abläuft.
Arndt sehnt sich nach einem Stück Normalität, danach, was der Durchschnittsbürger vielleicht als langweilig empfinden würde. «Ich freue mich darauf, jeden Tag nach Hause zu kommen. Ich freue mich darauf, mal abends mit meiner Partnerin allein zu sein», sagt sie. Ihr neues Leben beginnt im November in Melbourne. Dort studiert Arndt dann Soziologie und Kulturwissenschaften. Interessiert hat sie das schon immer, nur parallel zum Radsport wollte sie sich das nicht antun. Halbe Sachen sind nicht Arndts Sache.
Sie war nie jemand, der mit dem Strom schwimmt. Sie hatte immer ihrer eigene Meinung und hat sich auch nie gescheut, die öffentlich mitzuteilen. Unvergessen ist der ausgestreckte Mittelfinger in Richtung der Verbandsspitze, als Arndt in Athen gerade als Olympiazweite im Straßenrennen über den Zielstrich gerollt war. Der BDR hatte Petra Rossner bei der Nominierung übergangen. Mit ihr, war sich Arndt damals sicher, hätte man Gold gewonnen.
Gedanken macht sich Arndt immer noch. Die Zukunft des Frauen-Radsports sieht sie alles andere als rosig, wenn sich nicht bald etwas ändert. Es ist zwar vieles professioneller geworden, aber nicht unbedingt besser. «Finanziell stehen viele heute schlechter da. Mehr Teams bedeuten ja nicht mehr Geld. Wir sind finanziell ziemlich ausgesogen», sagt Arndt.
Sie fordert den Weltverband UCI zum Handeln auf. Der solle sich dafür einsetzen, dass die TV-Präsenz steigt und die Sponsoren gelockt werden. «Aber bei der UCI hat man das Gefühl, dass man gegen eine Wand läuft», sagt Arndt.