Hagen (rad-net) - «Kaiserlicher Ullrich!» - Unter dieser Schlagzeile übte die französische Tageszeitung Le Figaro im Juli 1997 den Kniefall: «Die Tour hat einen großen Champion gekürt. [...] Er ist noch zu jung, um ein Gott zu sein. Aber die Menge macht ihn zu einem neuen Messias.» Im Rückblick müssen diese Worte fast wie Hohn klingen. Zu viele Misstöne begleiteten die Karriere des ersten deutschen Tour-Siegers und zu plötzlich endete seine Karriere im Zusammenhang mit der Skandalgeschichte um den spanischen Doping-Arzt Eufemiano Fuentes.
Klaus Blume, erfahrener Sportjournalist mit besten Kontakten ins Innerste des Radsports, hat sich auf die Spurensuche begeben, um diesen beispiellosen Aufstieg und Fall eines deutschen Sport- und Volkshelden in all seinen Facetten zu beleuchten. «Des Radsports letzter Kaiser?», heißt sein neues, ab sofort im Bielefelder Verlag «Covadonga» erhältliches Buch, dessen Reportagen und Essays sich zu einer erhellenden, vielschichtigen Charakter- und Milieustudie verdichten. Es geht dabei Schuld und Sühne, Moral und Maßlosigkeit im Spitzensport. Und um eine fragile Persönlichkeit, die sich seit jeher allzu willfährig in die Abhängigkeit von anderen begeben hat.
«Dieses Buch ist weder der Versuch, den vermeintlichen Dopingsünder Jan Ullrich zur Strecke zu bringen, noch stellt es sich schützend vor eine ehemalige Radsport-Ikone», sagt der Autor Klaus Blume. Vielmehr sei ihm daran gelegen, anhand der Figur des einst geradezu vergötterten Kaisers die Mythen des Spitzensportleralltags zu Beginn des 21. Jahrhunderts offenzulegen: die Gesetzmäßigkeiten einer Sensationsindustrie, in der in einem erfolgshungrigen Athleten – auch abseits des Radsportmetiers – schwerlich die Überzeugung reifen kann, sich allein auf Talent und Training, Wasser und Vitaminspritzen verlassen zu dürfen.
Im ersten Teil seines Buches erzählt der erfahrene Tour-de-France-Reporter, aus der Erinnerung und eigenen Aufzeichnungen, aber auch auf Basis von vielen Gesprächen mit Wegbegleitern und Vertrauten seines Protagonisten, den Auf- und Abstieg des Superstars Jan Ullrich. In den darauffolgenden acht Kapiteln versucht er sich dann – mit Hilfe von Doping-Experten, Psychologen und Juristen – an Antworten auf die in dieser Causa bis heute gestellten Fragen: Warum wird ausgerechnet Jan Ullrich zum Schafott geführt, während andere weiterfahren dürfen? Sind Medien und Sportpublikum auf einem Auge blind, wenn sie sich mit Grausen vom Radsport abwenden, um sich gleichzeitig unbeschwert an den nationalen Erfolgen etwa im Biathlon zu verlustieren? Wie sind sie zu bewerten, die unterschiedlichen Verteidigungsstrategien, die von Dopingverdächtigen bemüht werden? Und: Hat Jan Ullrich überhaupt noch eine Chance auf späte Rehabilitation?
Klaus Blume beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit dem Radsport. Für seine Berichterstattung über die Tour de France wurde er mit der Ehrenmedaille ausgezeichnet. Außerdem ist Blume Berichterstatter bei zahlreichen Olympischen Spielen, Leichtathletik-, Kunstturn- und Schach-Weltmeisterschaften und im Wintersport. Er veröffentlichte Interviews und Reportagen in der FAZ, der SZ und der WELT, in Spiegel und Stern, im Handelsblatt und im Zürcher Tagesanzeiger. Seit 1977 spricht er Kommentare im ARD-Hörfunk.
Das Buch «Des Radsports letzter Kaiser?» hat 288 Seiten und kostet 14,80 Euro.