Berlin (dpa) - Er wollte immer die Kontrolle haben. Und er hatte sie, jahrelang. Auf dem Sattel im Tour-Tross war Lance Armstrong der von allen anerkannte Chef. Für diesen Ruf tat er alles.
Er, der schwer an Krebs erkrankte, nach 518 Tagen Rennpause geheilt in den Radsport zurückkehrte und die Szene bestimmte wie kein anderer vor ihm. Er, der eine Zeit lang mit der Sängerin Sheryl Crow liiert war und dem auch schon Ambitionen auf das höchste politische Amt im US-Bundesstaat Texas nachgesagt worden waren. Und nun ist Armstrong - zumindest sportlich - nur noch ein enttarnter Doping-Sünder.
Einer, der sich weiterhin unbeeindruckt zeigt von Beweisen, Zeugenaussagen unter Eid und einem mehr als 1000-seitigen Bericht über seine erschütternden Dopingpraktiken und die seines einstigen Rennstalls US Postal. «Was mache ich heute Abend? Ich verbringe Zeit mit meiner Familie, ungerührt», twitterte Armstrong nach der Veröffentlichung unbeeindruckt. Applaus hat er dafür nicht mehr zu erwarten.
Der mittlerweile 41-Jährige steht nach dem Absturz in die Niederungen der Dopingsünder vor den Scherben seiner lange Zeit ebenso unglaublichen wie unvergleichlichen Karriere. Sieben Toursiege nacheinander von 1998 bis 2005. Olympiadritter 2000. Weltsportler des Jahres 2003. Armstrong wurde DIE Erfolgsgeschichte im Sport, nachdem im Herbst 1997 Hodenkrebs diagnostiziert worden war. Dabei hatte er sein Können schon vor seiner schweren Erkrankung mehr als nur angedeutet: 1993 wurde der damals noch weitgehend unbekannte US-Boy Weltmeister.
«Ich bin 21, Amerikaner, und komme aus Texas, that's all», stellte er sich damals der Radsportwelt vor. Rund zwanzig Jahre später könnte das mit Ausnahme des Alters wieder zutreffen, wenn ihm tatsächlich alle Toursiege aberkannt werden und auch die Bronzemedaille von Sydney Geschichte sein könnte. Was bleibt? Das Bild eines von Ehrgeiz und Besessenheit getriebenen Sportlers, der besser als alle anderen sein wollte. Und der in einer Zeit, in der Doping im Radsport nicht die Ausnahme war, auch hier offensichtlich zu radikalem Perfektionismus neigte.
«Soweit ich zurückdenken kann, ich wollte immer und überall gewinnen, egal, ob es ein Velo-Rennen oder eine Partie Softball im Garten ist», sagte Armstrong einmal. Eine Aussage, die sicherlich auch andere absolute Spitzenstars unterstreichen würden. Armstrong wurde aber zum Abbild des Ellbogen-Sportlers, ohne große Rücksicht auf Verluste. «Für ihn ist man nur eine Nummer», klagte einmal Cedric Vasseur, einer seiner Ex-Helfer. «Ein lieber, netter Junge wird niemals Erster. Man muss hart zu sich selbst und zu anderen sein, nur so kann man gewinnen», erklärte Armstrong und entwickelte sich zum offensichtlich kaltblütigen Egomanen.
Anerkennung durch Erfolge - die Wurzeln liegen in seiner Kindheit. Armstrongs Vater ließ die Familie während der Schwangerschaft im Stich, der Stiefvater meinte es nicht allzugut mit dem Filius. Der Bub, der Jahrzehnte später mit kaum einer Regung im Gesicht die Gegner vorführte und zu Statisten degradierte, flüchtete sich schon damals aufs Rad: «Wenn ich nur lang genug radle, dann führt mich diese Straße aus meinem Elend heraus.» Allerdings führte sie den einst größten Helden der Sportgeschichte auf den Weg in ein anderes Elend.