Aix-en-Provence (dpa) - Bei Tempo 70 hatte er noch Zeit, sich von seiner Rennmaschine aufzurichten und seine Muskeln in Jubelpose spielen zu lassen: Mit Wut im Bauch raste André Greipel zu seinem ersten diesjährigen Etappensieg bei der 100. Tour de France.
Im Ziel der sechsten Etappe in Montepellier führte kein Weg vorbei am «Gorilla», wie sich der 30-jährige Rostocker gern nennen lässt. Greipel verwies nach 176,5 Kilometern im Massensprint Peter Sagan und Marcel Kittel, den Träger des ersten Gelben Trikots der Jubiläums-Tour, auf die Plätze und feierte seinen insgesamt fünften Tageserfolg beim wichtigsten Etappenrennen der Welt.
«Alles ist perfekt gelaufen. Wenn uns keiner vor die Karre fährt, sind wir schwer zu schlagen», freute sich im Ziel Greipels Team- und Zimmerkollege Marcel Sieberg. Der Greipel-Freund hatte am Vortag einige Kritik einstecken müssen, weil im Schlussspurt nicht alles nach Wunsch für den Lotto-Belisol-Express gelaufen war. Diesmal klappte es umso besser, und sogar Mark Cavendish, der überragende Sieger des Vortages, sah fast wie ein Anfänger aus. Allerdings hatte ihn ein Sturz 33 Kilometer vor dem Ziel gehandicapt. Er war zwar im Finish zur Stelle, aber auf Rang vier chancenlos. «Heute hat es die Mannschaft wie aus dem Lehrbuch gemacht», freute sich Greipel über die gelungene Spurtvorbereitung.
Daryl Impey löste in Montpellier seinen australischen Teamkollegen Simon Gerrans als Träger des Gelben Trikots ab. Der Orica-GreeEdge-Profi ist der erste Südafrikaner, dem diese Ehre in der 110-jährigen Tourgeschichte zu Teil wird. «Dieser Sieg wird mein Leben verändern und den Radsport in Südafrika ins Bewusstsein rücken», sagte Impay. «Es ist wichtig für mein Heimatland, weil es zeigt, dass wir mithalten können».
An den Vortagen schien Greipel bereits der Verzweiflung nahe: Im ersten Sprint der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt hatte der Wahlschweizer in Bastia nicht eingreifen können, weil ihn ein Defekt gestoppt hatte. Am Vortag in Marseille blieb nach Unstimmigkeiten in seinem «Sprintzug» nur Rang vier. Diesmal war bei brütender Hitze endlich der deutsche Meister an der Reihe und hinterher fühlte er sich rundherum «happy» mit einer Ausnahme: «Es tut mir leid für unseren Teamkollegen Jurgen van den Broeck, dass er heute verletzt aussteigen musste. So nah liegen Glück und Pech beieinander».
Im Gegensatz zum Vortag klappte die Spurtvorbereitung durch seine Teamkollegen bei Lotto-Belisol diesmal perfekt. Der kraftvolle Greipel übernahm die Spitze etwa 200 Meter vor dem Zielstrich und ließ sich von seinem Weg zum Triumph auf der Avenue de Vanièrs nicht mehr abbringen. «Wir waren heute total fixiert auf diesen Sprint. Das Team war sehr stark und konzentriert», freute sich der Tagessieger.
In den nächsten Tagen stehen die schnellen Männer nicht mehr im Mittelpunkt. Es geht es in die Pyrenäen - ein Terrain, dessen Topografie Greipel und den anderen Sprintern überhaupt nicht zusagt. Erst der kommende Dienstag in Saint-Malo verspricht wieder ein Rendezvous der Sprinter zu werden.
Nach seinem Sturz vom Vortag stieg van den Broeck aus. Der Belgier klagte über heftige Kniebeschwerden und trat nicht mehr zum Start der sechsten Etappe an. Damit musste van den Broeck - 2010 noch Gesamtfünfter der Tour - bereits zum zweiten Mal in drei Jahren wegen eines Sturzes aufgeben. «Durch den Ausstieg waren wir ganz schön down, umso wichtiger war heute dieser Sieg», sagte Sieberg.