Wien (rad-net) - Wenige Tage vor den Olympischen Winterspielen in Vancouver hat Österreichs NOK-Präsident Karl Stoss die Spekulationen über die Beteiligung deutscher Athleten an der Wiener Blutdoping- Affäre neu entfacht. «Wenn sie das Wort Humanplasma in den Mund genommen haben, dann denke ich, dass auch eine ganze Menge deutscher Sportler da auf der Liste stehen», sagte Karl Stoss in der ZDF- Dokumentation «Mission Gold - Die Blutspur der Dopingbetrüger», die am Mittwoch (23.15 Uhr) ausgestrahlt wird. «Da sollte man nicht mit Steinen in Glashäusern werfen, wo man selbst drinnen sitzt.» Beweise für eine Verstrickung deutscher Athleten gibt es bisher nicht.
Der ehemalige Radprofi Bernhard Kohl stellt in einem Interview gegenüber dem ZDF Mutmaßungen über die Zahl der bei Humanplasma behandelten Sportler. Gegen den daraus resultierenden Eindruck, dass seitens des Unternehmens nicht die ganze Wahrheit gesagt werde, setzte sich Humanplasma am Sonntag in einer Pressemitteilung zur Wehr: «Das Unternehmen hat in einer internen Untersuchung aufgeklärt, wie es 2003 auf Aufforderung Dritter zu ersten Blutabnahmen für Sportler kam und in welchem Umfang diese Abnahmen danach bis Anfang 2006 stattfanden. Gegenüber den zuständigen Behörden haben Vertreter des Unternehmens - unter Wahrheitspflicht - selbstverständlich die bekannten Details offen gelegt. Der österreichischen SOKO Doping wurden insbesondere auch Namen von Initiatoren, Organisatoren und selbstverständlich auch von beteiligten Sportlern bekannt gegeben. In den Räumlichkeiten von Humanplasma wurde zwischen Ende 2003 und Anfang 2006 rund 30 Sportlern Blut zur späteren unerlaubten Leistungssteigerung abgenommen und gelagert. Niemals wurde bei Humanplasma Blut transfundiert und zu keinem Zeitpunkt wurden Medikamente oder sonstige Mittel zur Leistungssteigerung verabreicht. Rücktransfusionen wurden gegebenenfalls ohne Involvierung des Unternehmens von Ärzten oder anderen Personen, die Humanplasma namentlich nicht bekannt sind, vorgenommen», heißt es in der Mitteilung. «Es war ohne Frage ein Fehler, dem damaligen Ansuchen um 'Chancengleichheit' entsprochen und Blutabnahmen durchgeführt zu haben», so die Unternehmensleitung weiter.
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), den die Anschuldigen mitten in den Vorbereitungen auf die Olympischen Winterspiele treffen, forderte Stoss zu konkreten Angaben auf. «Wenn Herr Stoss neue Erkenntnisse hat, sollte er bitte Ross und Reiter nennen, statt dunkle Andeutungen zu machen», sagte DOSB-Sprecher Christian Klaue am Sonntag in Vancouver. «Als uns die Gerüchte mitgeteilt worden sind, haben wir auf Nachfrage bei den zuständigen Stellen stets die Aussage erhalten, dass es keine Hinweise auf deutsche Athleten gäbe.»
Verärgert reagierte der Präsident des Deutschen Skiverbandes (DSV), Alfons Hörmann, auf Stoss' medialen Vorstoß. «Wenn jemand konkrete Hinweise hat, dann soll er sie offenlegen. Das ist bis heute aber nicht passiert. Immer neue Spekulationen dienen nicht der Sache, daher sollte man den Mund halten und nicht dauernd Unterstellungen in der Raum stellen», sagte Hörmann am Sonntag der Deutschen Presse- Agentur dpa. Jeder sollte sich mit seinen Themen beschäftigen: «Die Österreicher sollten das auch tun.» Zudem habe der DSV in den vergangenen Wochen bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur NADA nachgefragt. Dabei sei nichts Neues herausgekommen.
Zuvor hatte der im Oktober 2009 zum Chef des Nationalen Olympischen Komitees (ÖOC) Österreichs gewählte Stoss gewarnt: «Da ist höchste Vorsicht angesagt, es ist ein trauriges Kapitel, das man gemeinsam zu vertreten und aufzuarbeiten hat.» Namen wollte er nicht nennen. «Nein, das mache ich nicht», sagte Stoss. Im Labor der Wiener Humanplasma GmbH wurden von Mitte 2003 bis Anfang 2006 Blutabnahmen bei Sportlern durchgeführt, wie Humanplasma-Sprecherin Michaela Eisler dem ZDF bestätigte. «Die Unternehmensleitung bedauert, dadurch einen Beitrag zu Blutdoping geleistet zu haben», hieß es. Der Umfang der Blutabnahmen sei auf weniger als 30 Personen limitiert gewesen.
Die Wintersport-Nation Österreich steht nach dem Skandal von Turin 2006 in Kanada unter besonderer Beobachtung - und tut sich selbst mit dem Thema Doping weiter schwer. Peter Schröcksnadel, Präsident des Österreichischen Ski-Verbandes (ÖSV), will dazu gar nichts mehr sagen, weil es «kein Vertrauen in die Objektivität ausländischer Medien in Bezug auf die Causa Turin» gebe. Das sagte ÖSV-Sprecher Stefan Illek der dpa.
Schröcksnadel gehört zu insgesamt zehn aktiven und ehemaligen ÖSV- Vertretern, die im Zusammenhang mit dem Turin-Skandal wegen der «Begünstigung von Doping-Praktiken» angeklagt sind und sich vor einem italienischen Gericht in Susa verantworten müssen. «Auch die Führungsspitze des Verbandes war in dem Dopingsystem beteiligt», sagte der Turiner Staatsanwalt Gianfranco Colace dem ZDF. Als Folge des Doping-Skandals, der durch eine Razzia der italienischen Polizei aufgedeckt wurde, hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) sechs Ski-Langläufer und Biathleten lebenslang gesperrt.
Österreichs Chef de Mission in Vancouver, Hans Holdhaus, ist überzeugt, dass man in seinem Land die Lehren aus den Turiner Turbulenzen gezogen hat. «Ich glaube, dass wir aus der ganzen Sache von Turin gelernt haben und wir so ein Problem nicht wieder haben werden», sagte er. Dabei verwies er auf die Gründung der Nationalen Doping-Agentur (NADA) und das seit 2008 gültige Anti-Doping-Gesetz. «Es ist sehr innovativ und gibt den Sportlern wenig Chancen zu betrügen», so Holdhaus. Präventiv wurden zudem die mehr als 80 österreichischen Athleten am 1. Februar von der NADA über die geltenden Doping-Regeln informiert.
Bei der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hat Österreich wieder einen guten Ruf. «Österreich hat signifikant gelernt. Denn es war eine Schande, was in Turin passiert ist», sagte WADA-Generaldirektor David Howman. «Ich hoffe, dass die österreichischen Athleten wissen, was bei den vergangenen Winterspielen geschehen ist.» Auch Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), bescheinigt dem Nachbarland Fortschritte. «In Österreich hat sich seitdem einiges getan», stellte er fest, betonte aber: «Die Gesetzgebung hat nachvollzogen, was bei uns bereits gilt. Sie ist freilich keineswegs härter als die unsrige.»
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