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Entspannt: Tony Martin am Rande des Münsterland-Giro. Bild unten: Der 28-jährige Cottbuser in Florenz nach der grandiosen Fahrt zu seinem dritten WM-Titel im Einzelzeitfahren. Fotos: Thorsten Langenbahn/rad-net.de, Claudio Giovannini
04.10.2013 16:08
Zeitfahrweltmeister Tony Martin im exklusiven Interview: «Das ist schon eine echte Ansage»

Münster (rad-net) - Tony Martin hat sich mit seinem dritten Weltmeistertitel im Einzelzeitfahren in den Geschichtsbüchern des Radsports verewigt. Im großen, zweiteiligen «rad-net»-Interview spricht der 28-Jährige über seinen historischen Triumph, die Manipulationsvorwürfe aus der Schweiz, seine persönliche Saisonbilanz und das Ziel Olympia-Gold.

Tony Martin, Sie sind zum dritten Mal in Folge Zeitfahr-Weltmeister geworden - haben Sie diesen historischen Erfolg schon verinnerlicht?

Tony Martin: Das kam jetzt so langsam, als ich zu Hause war, alleine auf meinem Rad gesessen habe und ein bisschen Zeit hatte, den Gedanken freien Lauf zu lassen. Aber es ist wie nach jedem großen Erfolg: Es dauert ein paar Tage, bis man das wirklich realisiert.

Hätten Sie sich das je erträumt, als Sie mit 14 Jahren angefangen haben Rennrad zu fahren?

Martin: Es war immer ein Traum, Weltmeister zu werden. Eigentlich dachte ich schon 2011, als ich das erste Mal Weltmeister geworden bin, dass meine Träume wahr geworden sind und es nicht besser werden könnte. Aber jetzt dreimal hintereinander, das ist schon eine echte Ansage. Ich denke, damit habe ich mich auch ein Stück weit in die Geschichtsbücher geschrieben - das macht mich schon stolz.

Was motiviert Sie immer wieder aufs Neue, solche Höchstleistungen zu bringen?

Martin: Der Anspruch an mich selber. Ich kann nicht sagen, dass ich das für andere Leute mache. Sicherlich ist es sehr, sehr motivierend, wenn man wie ich ein Team und ein Umfeld hat, das einen zu hundert Prozent unterstützt. Aber es ist dieser eigene Anspruch, alles geben zu wollen und - egal wie es am Ende ausgeht - sagen zu können: Ich habe alles gegeben und alles gemacht. Das ist mein Antrieb.

Im WM-Einzelzeitfahren sind Sie auf dem 57,9 Kilometer langen Kurs von Montecantini Terme nach Florenz einen Schnitt von 52,9 km/h gefahren. Im Mannschaftszeitfahren wären Sie damit auf dem sechsten Platz gelandet. 

Martin: Das habe ich auch gehört. Da kann ich demnächst mit einem eigenen Team an den Start gehen (lacht). Das ist natürlich schon eine starke Zeit. Mit Kopenhagen 2011 war das eines meiner besten Zeitfahren überhaupt, in dem ich eine Stunde lang voll durchpowern konnte. Vom Mentalen war es noch einmal die härtere Probe, weil ich diesmal als Topfavorit an den Start gegangen bin. Vor zwei Jahren hatte ich nicht so einen ganz, ganz großen Druck. Insofern bin ich jetzt besonders stolz, dass ich diesem Druck standgehalten habe und ihn positiv genutzt habe, um Spitzenleistungen bringen zu können.

Von der Schweizer Boulevard-Zeitung «Blick» gab es Manipulationsvorwürfe, Sie hätten mithilfe kleiner Spoiler unter dem Trikot die Aerodynamik verbessert. Können Sie darüber schmunzeln?

Martin: Ich sage immer: Es gibt keine schlechte Presse. So war ich halt noch ein bisschen länger präsent. Aber im Ernst: Natürlich kenne ich die Medienwelt so langsam, wo jeder das Besondere berichten und die Story des Tages haben will. Wenn man dieses eine spezielle Bild sieht, hat man vielleicht eine Grundlage für Gerüchte. Aber ein seriöser Reporter, der wirklich an der Wahrheit interessiert ist, der schaut sich auch andere Fotos aus einem anderen Winkel mit einer anderen Sonneneinstrahlung an und sieht dann, dass da gar nichts ist. Die Vorwürfe entbehren jeglicher Grundlage, insofern kann ich da wirklich drüber schmunzeln.

Wie fällt kurz vor dem Saisonende Ihr persönliche Jahresbilanz aus?

Martin: Von den Erfolgen passt es auf jeden Fall, von der Anzahl der Siege, auch die Qualität, gerade der Zeitfahrsiege. Zwei kleinere Rundfahrten gewonnen, davon eine Heimrundfahrt, die für unser Team sehr wichtig ist. Ich denke, ich kann auf jeden Fall zufrieden sein. Persönlich wurmt es mich ein bisschen, dass ich nicht bei einer größeren Rundfahrt mit vorne fahren konnte. Ich spreche jetzt nicht von der Tour oder Vuelta, sondern zum Beispiel von der Tirreno oder Romandie. Da bin ich schon ganz vorne mitgefahren und das sollte für mich das Ziel sein, da wieder hinzukommen.

Ist auch Rio jetzt schon ein Ziel oder wie weit weg sind die Olympischen Spiele 2016 noch?

Martin: Rio ist auf jeden Fall schon ein Ziel, auch gedanklich. Die Olympischen Spiele letztes Jahr in London, meine ersten Spiele, haben mich so sehr überrascht, dass ich gesagt habe: Hier will ich irgendwann mal ganz vorne sein und Gold holen.

Inwiefern haben Sie die Olympischen Spiele überrascht?

Martin: Das ist das einzige Ereignis, wo so viele Sportarten aufeinandertreffen und überall Sport in der Luft liegt. Das kann man eigentlich gar nicht beschreiben. Das war ein ganz, ganz großartiges Erlebnis. Ich habe mal durchgezählt, wie viele Olympische Spiele ich noch mitmachen kann. (lacht) Zwei oder drei wären schon schön. Das ist neben der Tour früher, heute nicht mehr, das einzige, wo der Gedanke war „Dabei sein ist eine geile Sache“. Das war jetzt bei Olympia unabhängig vom Ergebnis: Einfach dabei zu sein.

Im zweiten Teil des großen «rad-net»-Interviews mit Tony Martin spricht der Zeitfahrweltmeister über den Stellenwert des deutschen Radsports im internationalen Vergleich, den kraftraubenden Anti-Doping-Kampf, die Rolle des Fernsehens und seine angebliche Umschulung zum Rundfahrer. Ab morgen auf rad-net.de …

zum Sportlerportrait von Tony Martin auf «rad-net»


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