Palmanova (dpa) - Sprinter leben gefährlich. Sogar bei einem sportlich minder bewerteten Ereignis wie der Mallorca-Rundfahrt. Erik Zabel konnte auf der 2. Etappe im Schlussspurt nur mit Glück einen wahrscheinlich folgenschweren Sturz verhindern.
Ein Zuschauer hatte sich etwa 80 Meter vor dem Ziel zu weit über die Absperrgitter gebeugt, weshalb der in Führung liegende Spitzenreiter der Weltrangliste ihn mit seinem rechten Oberarm touchierte. Ergebnis in Cala Ratjada: Platz 3 anstatt des sicher geglaubten ersten Saisonsieges und eine schwere Prellung, gegen die in der Nacht ein Salbenverband helfen sollte. «Ich kann weiter fahren. Es hätte Schlimmeres passieren können», sagte Zabel vor dem Start der 3. Etappe, die durchs Insel-Gebirge führt und deshalb als Bühne für einen persönlichen Erfolg kaum in Frage kommt.
2003 soll nicht nur für Telekom, sondern auch für den zum Kapitän mit besonderer Weisungsbefugnis beförderten Zabel ein Jahr des Umbruchs werden. Vier Mal Mailand-San Remo, 12 Tour-Etappenerfolge, sechs Grüne Trikots, insgesamt rund 170 Siege mit atemberaubender Konstanz - das ist fast genug. Zabel will sich mit fast 33 Jahren nicht mehr unbedingt nur noch am direkten persönlichen Erfolg messen lassen und hat einen komplizierten Spagat vor: Er will und soll auch anderen den Vortritt lassen.
«Eine Systemänderung hat sich aufgedrängt. Danilo Hondo ist bei uns der Sprinter Nummer 1 bei der Vuelta und den Klassikern, bei denen ich nicht am Start bin. Dafür habe ich bei der Tour die Priorität. Die Mannschaft fährt für den, der am stärksten ist. Wenn alle an einem Strang ziehen, kann es gut gehen», meinte Zabel, der jetzt Stärke besonderer Art braucht: «Ich weiß nicht, ob das in mir steckt, meinen Ehrgeiz zu zügeln. Das erfordert innere Größe.» Weniger vielleicht aus freundschaftlicher Neigung, als aus der Notwendigkeit, die neue Team-Politik zu besprechen, teilte Zabel im Vorjahr bei einigen Rennen das Hotelzimmer mit dem zweifachen Giro- Etappengewinner Hondo.
Am Montag probte der Kapitän ein bisschen die neue Gewaltenteilung im Rennen, allerdings ohne, dass der durch eine Bronchitis ausgefallene Hondo davon hätte profitieren können. Auf dem Weg nach Cala Ratjada ließ Zabel eine Ausreißergruppe mit zwei Team-Kollegen kurz vor dem Ziel ziehen. Das Rennen lief dann im Finale aber so, dass der Berliner doch wieder als Sprinter gefragt war.
Der Idealfall der Wachablösung könnte nach dem Vorbild von 1994 ablaufen, als Zabel von Weltcup-Sieger Olaf Ludwig in die Weltspitze begleitet wurde. Einen Unterschied zu damals nennt Hondo: «Olaf war über seinen Zenit hinaus, Erik ist jetzt noch top.» Zabel bringt ein anderes Argument ins Spiel: «Ich bin 32, Danilo 30. Vielleicht kommt im nächsten Jahr ein ganz anderer Sprinter.» Oder: Zabel, dessen Vertrag zum Saisonende ausläuft, fährt nicht mehr bei Telekom. Günther Dahms, Jan Ullrichs neuer Arbeitgeber bei Coast, soll jedenfalls schon seine Fühler ausgestreckt haben.
«Es wäre nicht klug, sich dazu jetzt zu äußern», meinte Zabel, bei dem auch nach 12 Jahren «Telekom-Ehe» kaum Platz für Gefühlsduselei wäre. Die teilweise qualvollen Trennungen von Udo Bölts, Jens Heppner, Ullrich und Rudy Pevenage, mit Verletzungen auf vielen Seiten, nannte Zabel eine nicht ganz ernst zu nehmende «Mini-Soap».