Bendzin (dpa) - Vor zehn Jahren saß er noch vor dem Fernseher und bewunderte Erik Zabel. Als die deutsche Sprint-Ikone bei der Tour de France um Etappensiege kämpfte, setzte sich der damalige Teenager Marcel Kittel in Thüringen zum ersten Mal auf ein Rennrad.
«So fing das an», erinnerte sich der Arnstädter, der 2011 dank eines furiosen ersten Profijahrs drauf und dran ist, in Zabels Fußstapfen zu treten. Acht Saisonsiege hatte der 23-Jährige bereits eingefahren, ehe ihm bei der Polen-Rundfahrt die ersten WorldTour-Erfolge gelangen und er damit endgültig in die Riege der deutschen Top-Sprinter aufstieg.
«Das werde ich immer in Erinnerung behalten», sagte Kittel am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa und machte sich im Gelben Trikot des Gesamtführenden auf den Weg zur dritten Etappe der Polen-Rundfahrt. Fast schon aufreizend dominant war er der Konkurrenz davongesprintet und hatte unter anderem Heinrich Haussler - immerhin Tour-Etappensieger 2009 - das Hinterrad gezeigt. «Dass es so gut läuft, hat mich auch überrascht», räumte er ein. «Aber am Ende bin ich natürlich auch nicht böse drüber.»
Der Thüringer, von Zabel schon vor Monaten als «außerordentliches Talent» gelobt, muss schmunzeln, wenn er an seine Anfänge und seine besondere Beziehung zur Tour de Pologne denkt. Vater Matthias Kittel war 1982 selbst bester Sprinter in Polen. «Ich habe zu ihm gesagt: "Du hast vorgelegt, jetzt zieh' ich nach"», scherzte Kittel junior.
Mittlerweile ist dem sympathischen Youngster, der im Frühjahr vier Etappen bei den renommierten «Vier Tagen von Dünkirchen» und die Premiere des ProRace in Berlin gewonnen hatte, auch der Sprung in einen Elite-Rennstall und zur Frankreich-Rundfahrt zuzutrauen. «Irgendwann will ich da natürlich an den Start gehen», sagte Kittel. «Da deutet sich eine neue Radfahrer-Generation an», hatte Zabel in Berlin unterstrichen.
Dennoch verlängerte Kittel jüngst beim zweitklassigen Team Skil- Shimano bis 2013. «Ich fühle mich hier sehr wohl», begründete er seine Entscheidung, «das ist fast schon eine familiäre Atmosphäre.» Der Wohlfühlfaktor könnte auch Patrick gretsch überzeugt haben: Der 24-Jährige wechselt 2012 von HTC zu Skil, wie das Team mitteilte.
Kittel spricht von Nachhaltigkeit und behutsamem Aufbau seiner Karriere. «Die Mannschaft hat sich zum Ziel gesetzt, junge Talente zu entdecken und zu fördern», erklärte er. «Ich habe ein gutes Gefühl.» Dass das niederländische Team nicht zur Tour eingeladen worden war, scheint ihn nicht zu wurmen. Die Frankreich-Rundfahrt biete nicht nur Chance, sondern sei auch gefährlich. «Wenn ein junger Fahrer zu früh große Rennen fährt, dann ist der Ofen nach einem Jahr oft schon aus.»
Der 23-Jährige ergriff seine Chance nun in Polen - dabei hat er das Sprinter-Handwerk erst im Winter erlernt. «Wir haben das Training umgestellt. Früher wurde ich in die Zeitfahrer-Schublade gesteckt», sagte Kittel. Kein Wunder, feierte er doch im Kampf gegen die Uhr schon früh Erfolge. 2005 und 2006 wurde er Junioren-Weltmeister im Kampf gegen die Uhr, 2007 und 2010 deutscher Meister in der U23-Konkurrenz.
Kittel fährt auch für das Renommee der Sportart in Deutschland. «Wir versuchen, aus dem Sport wieder ansatzweise das zu machen, was er vor fünf, sechs Jahren war. Da ist viel verloren gegangen», meinte der Thüringer, der sich mit seinem Freund und Ex-Teamkollegen John Degenkolb (HTC Highroad) um die deutsche Sprintkrone streiten dürfte. Im Anti-Doping-Kampf habe sich vieles gebessert. «Man muss Fahrern wie John und mir die Chance geben, zu zeigen, dass es anders geht.»