Saint-Flour (dpa) - Fahrer in Rage, Veranstalter unter Druck: Nach den dramatischen Unfällen der ersten Tour-Woche wächst die Sorge um die Gesundheit der Radprofis und die Sicherheit auf der Straße.
Vor allem die fürchterliche Kollision eines Begleitautos mit zwei Fahrern sorgte im Peloton für Fassungslosigkeit. «Ich bin froh, dass wir noch am Leben sind», meinte der Niederländer Johnny Hoogerland, der bei dem Crash in einen Stacheldrahtzahn geschleudert wurde und die Etappe blutüberströmt beendete. «Was hier passiert, ist nicht akzeptabel», schimpfte Jens Voigt, «da treffen 2000 Kilogramm auf 65!»
Die Rennleitung entfernte den Unfallverursacher umgehend von der Tour de France. «Dieses Verhalten ist nicht akzeptabel», betonte Tour-Chef Christian Prudhomme. Aber auch die Organisatoren selbst ernten wieder Kritik: Warnhinweise vor brisanten Stellen seien mangelhaft, zudem die ausgewählten Straßen vielfach zu eng und gefährlich. Auf der 9. Etappe war es auf einer Abfahrt zum Massensturz gekommen, der das Aus für Alexander Winokurow und Jürgen Van den Broeck bedeutete.
Bei der wichtigsten Rundfahrt kämpft jeder um den Platz ganz vorne im Feld, was zwangläufig zu Kollisionen führt. Linus Gerdemann meinte zur Etappe: «Wären die Ausreißer eingeholt worden, hätte es auf den letzten Kilometern womöglich wieder Mord und Totschlag gegeben.» Voigt räumte aber ein: «Man muss die Schuld auch bei sich selbst suchen. Jeder geht ein höheres Risiko als bei anderen Rennen. Bei der Tour geht es um alles oder nichts - barfuß oder Lackschuh.»
Sandy Casar, der zur Spitzengruppe gehörte, bei dem Unfall mit dem Auto des französischen Fernsehens aber verschont wurde, monierte: «Wir sind die Hauptdarsteller und werden immer weniger respektiert.»
Nach Angaben der Veranstalter hatte der Pilot des Wagens eine Anweisung über Funk missachtet, die fünf Spitzenfahrer nicht zu überholen. Als er bei hoher Geschwindigkeit direkt neben den Fahrern offenbar einem Baum auswich, traf er den Spanier Juan Antonio Flecha, der wiederum Hoogerland mit sich riss. «Der Autofahrer sollte die gleichen Schmerzen erleiden wie mein Freund Flecha», schimpfte Fabian Cancellara über Twitter. «Was hier passierte, ist ein Desaster.»
France Television entschuldigte sich in einem Statement. Schon in der ersten Tour-Woche war der dänische Radprofi Nicki Sörensen durch die Kollision mit einem Begleitmotorrad zu Sturz gekommen. «Das waren zwei Unfälle zu viel», betonte Prudhomme. Ob Hoogerland, der sich ins Ziel gequält und dort mit schmerzverzerrtem Gesicht sogar noch das Trikot des besten Kletterers abgeholt hatte, die Tour fortsetzen kann, war am Montag zunächst unklar.
Winokurow, der seine letzte Frankreich-Rundfahrt bestritt, steht dagegen vor dem Karriereende. Der 37 Jahre alte Astana-Kapitän wurde noch am Sonntag nach Paris geflogen und dort in der Nacht wegen eines komplexen Bruches des rechten Oberschenkelkopfes operiert. Der Eingriff verlief erfolgreich, teilte eine Teamsprecherin am Montag mit. Winokurows Frau wird am Dienstag aus Kasachstan eingeflogen.
«Ich musste sofort an meinen alten Freund Kiwi denken», sagte Winokurow über seinen früheren Teamkollegen Andrej Kiwilew, der bei einem ähnlichen Sturz bei Paris - Nizza 2003 ums Leben gekommen war. «Er hatte nicht das Glück, das ich hatte.» Erst im Mai 2011 war der Belgier Wouter Weylandt beim Giro d'Italia tödlich verunglückt.
Andreas Klöden, der ebenfalls in den Winokurow-Sturz verwickelt war und acht Meter die Böschung hinabstürzte, hofft auf eine schnelle Genesung von seinen Rückenproblemen. Der zweimalige Tour-Zweite will am Dienstag wieder am Start stehen. «Es geht weiter, auch wenn ich auf den nächsten Etappen Schmerzen haben werde», ließ der Gesamt-Achte auf der Homepage seines Teams RadioShack wissen.
Auch der dreifache Toursieger Alberto Contador war zum dritten Mal in den ersten neun Tour-Tagen in einen Sturz verwickelt. Der Spanier verletzte sich am rechten Knie und erklärte nach der Etappe: «Das ist irgendwie nicht meine Tour. Mein Knie schmerzt, ich hoffe, dass das am Ruhetag behoben werden kann.»