Calvi (dpa) - Für eine Jubelpose im Ziel gab es keine Chance. Simon Gerrans klammerte beide Hände fest an den Lenker, als er sich mit einem hauchdünnen Vorsprung den Tagessieg auf der spektakulären dritten Etappe der 100. Tour de France sicherte.
Der Vorsprung des Australiers vom Team Orica-GreenEdge auf Peter Sagan betrug gerade eine Reifenbreite. Der Slowake durfte sich aber wenigstens mit dem Grünen Trikot des Sprintbesten trösten, das er vom Thüringer Marcel Kittel übernahm. Die Position des Belgiers Jan Bakelants an der Spitze des Gesamtklassements mit einer Sekunde Vorsprung vor 71 zeitgleichen Fahrern blieb unangetastet.
Fast noch beeindruckender als der aufregende Sprint an der Spitze nach der Achterbahn-Etappe über lediglich 145,5 Kilometer war die Leistung des vielfach verletzten Tony Martin. Der Zeitfahrweltmeister erreichte am letzten Tag des korsischen Tourabenteuers zeitgleich mit dem Etappensieger das Ziel und scheint für das Mannschaftszeitfahren am Dienstag in Nizza gerüstet zu sein - trotz seiner verbundenen Wunden am Ellenbogen, Rücken und Gesäß.
Der nach seinem Sturz vom Samstag gehandicapte Martin kam auf dem höchst anspruchsvollen Kurs mit vier Steigungen mit dem geschrumpften Hauptfeld ins Ziel. «Heute hatte ich mehr Schmerzen als gestern, aber ich bin ganz zufrieden. Ich hatte mir vorgenommen, mit dem Feld über den letzten Berg zu kommen. Das ist gelungen», sagte der Doppelweltmeister im Zeitfahren. «Das war ein kleiner Formtest für morgen.» Der darf als gelungen bezeichnet werden.
Am Dienstag will Martin mit Omega-Quick-Step das Teamzeitfahren in Nizza gewinnen, am 10. Juli das Einzelzeitfahren nach Mont-Saint-Michel über 33 Kilometer. «Darauf liegt jetzt mein Fokus», sagte Martin. Großer Favorit über die 25 Kilometer ist allerdings das britische Sky-Team des Topfavoriten Christopher Froome. Aber immerhin geht Martin mit seinem Team als Mannschafts-Weltmeister an den Start an der Promenade des Anglais.
Trotz seiner schweren Verletzungen bleibt er zuversichtlich. «Die Schürfwunden sind eher oberflächlich. Mein Hintern ist auf beiden Seiten offen und auch der Rücken ist betroffen. Ich denke aber, bis zum ersten Ruhetag habe ich hier wieder ein gutes Niveau erreicht», hatte er am Morgen auf seiner Facebook-Seite geschrieben. Das schlimmste sei die tiefe Fleischwunde am Ellenbogen. «Wir müssen abwarten, wie die Heilung mit fortschreitender Tour verläuft. Denn von Etappe zu Etappe ist das Immunsystem durch die hohe körperliche Belastung immer anfälliger», ergänzte der 28-Jährige.
«Da könnte Infektionsgefahr bestehen, weil wir außer unmittelbar nach dem Unfall nicht langfristig Antibiotika geben konnten», erklärte Teamarzt Helge Riepenhof. «Unglaublich, was Tony wegstecken kann», staunte Rolf Aldag, Ex-Profi und Technik-Manager in dem belgischen Team, über die Leidensfähigkeit des Lausitzers. Dieser hatte die Tour im Vorjahr nach einem Kahnbeinbruch aufgeben müssen.
Gerrans, Mailand-San Remo-Gewinner von 2012, stellte in der Hitze von Calvi die Ehre seines australischen Orica-GreenEdge-Teams wieder etwas her. Der Busfahrer des Teams war am Sonntag unter großem Spott zu trauriger Berühmtheit gelangt, als er wenige Minuten vor dem Eintreffen der Fahrer die Zielpassage lahmgelegt hatte. Er hatte die Zielumrandung gerammt. Es war ein dramatischer Wettlauf mit der Zeit entstanden, bis sich der havarierte LKW endlich wegbewegen ließ. Wenige Minuten später war das Feld mit Marcel Kittel an der Spitze durchs Ziel gerast.
Nach der letzten Etappe auf der landschaftlich überwältigend schönen Mittelmeerinsel flogen die Profis und die Teambegleiter nach Nizza. Die Mannschaftsbusse und das Material und viele Begleitfahrzeuge wurden verschifft. «Es war ein großartiger Start auf Korsika», zog Tour-Direktor Christian Prudhomme eine kleine Bilanz des Jubiläums-Auftaktes.