Gelsenkirchen (dpa) - Für Hobby-Radsportler Rudolf Scharping war am Freitag Ausdauer gefragt. Eine Sitzung nach der anderen stand im Gelsenkirchener Maritim-Hotel auf dem Programm, das die Delegierten des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) zu bewältigen hatten.
Der Tag vor der Bundeshauptversammlung, die am Samstag über den zukünftigen BDR-Präsidenten abstimmt, gilt als entscheidend. «Der Smalltalk in der Kaffeepause ist oft weichenstellend», meinte Hans Lutz, Präsident des württembergischen Landesverbandes, der im Vorfeld klar Stellung für Herausforderin Sylvia Schenk bezogen hatte.
Nie zuvor hat eine Wahl über den zukünftigen BDR-Präsidenten so polarisiert. Auf der einen Seite der wahlkampferprobte Scharping, eine verlässliche Größe auf (sport-)politischer Ebene, der aber nach Kritiker-Meinung Stillstand verkörpert und den Anti-Doping-Kampf arg zurückhaltend betreibt. Ihm gegenüber steht die Juristin Sylvia Schenk, forsch im Auftreten beim Bestreben für mehr Transparenz und Integrität. Gespalten scheinen die 17 Landesverbände. Olympiasieger Robert Bartko, der selbst als Vizepräsident Leistungssport kandidiert, regte gar eine Vertagung der Wahl an. Quasi bis ein Präsident gefunden ist, der allen Delegierten genehm ist.
Dazu dürfte es kaum kommen. Ob aber Scharping wie vor vier Jahren bei der Kampfabstimmung gegen den farblosen Herausforderer Dieter Berkmann ähnlich klar als Sieger hervorgeht, erscheint fraglich. Der Weltverband würde eine dritte Amtszeit Scharpings zweifelsohne begrüßen, hätte die umstrittene Spitze um UCI-Boss Pat McQuaid und Ehrenpräsident Hein Verbruggen durch Schenk doch mächtigen Gegenwind zu erwarten. In Schenks erster Amtszeit beim BDR von 2001 bis 2004 hatte Verbruggen bereits versucht, das heutige Vorstandsmitglied der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International zu maßregeln. «Das hier ist eine Welt der Männer, und Sie sind eine Frau, also müssen Sie sich anpassen», sagte Verbruggen damals.
Was in der «Welt der Männer» um Verbruggen, McQuaid und Armstrong so alles abgelaufen ist, lassen die jüngsten Doping-Enthüllungen gut erahnen. Luxemburgs Radsport-Präsident Jean Regenwetter hatte die Verhältnisse bei der UCI mit denen einer Bananenrepublik verglichen. Scharping nahm sich in der Diskussion eher vornehm zurück, ganz im Gegensatz zu Schenk, die allzu gern ihre Finger in die Wunden legt.
Nicht nur Freunde dürfte sich die Frankfurterin damit machen. «Sie hat keine Situation ausgelassen, in der Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt nach dem Radsport zu treten. Ich denke, dass einige Delegierte ihr das übelnehmen und Sorge davor haben, dass sie eine Art Feldzug aufführen wird. Das ist nicht meine persönliche Meinung, aber das ist zum Teil ein großes Problem bei den Delegierten», sagte Bartko der dpa. Der Olympiasieger von Sydney betrachtet seine Kandidatur losgelöst vom Duell Scharping-Schenk.
Schenk war 2004 aus dem BDR-Präsidium ausgeschieden, nachdem sie sich insbesondere in Fragen der Anti-Doping-Politik mit Sportdirektor Burckhard Bremer überworfen hatte. Bremer, ein Mann mit zweifelhaftem Ruf, wurde vor zwei Jahren durch ein vom BDR in Auftrag gegebenes Gutachten vom Vorwurf der Mitwisserschaft oder Vertuschung bei Dopingfragen zwischen 2000 und 2004 entlastet. Anfang 2012 schied Bremer aus seinem Amt - wurde anschließend aber noch mit einem Beratervertrag ausgestattet.