Valladolid (dpa) - Die Premiere beim Giro d'Italia scheint fraglich, der achte Sieg bei der Tour de France ein Ding der Unmöglichkeit: Nach seinem schweren Sturz in Spanien muss Lance Armstrong seine Comeback-Ambitionen über den Haufen werfen.
Der 37- Jährige, dessen Rückkehr seit Monaten die Radsport-Welt in Atem hält, wird nach seinem Schlüsselbeinbruch eine wochenlange Zwangspause einlegen und sich in seiner Heimat operieren lassen. «Das tut jetzt höllisch weh. Die Operation erfolgt in einigen Tagen», erklärte Armstrong. Vor dem Rückflug am Dienstag in die USA konnte der US- Profi, der für den Giro ein «sehr großes Problem» sieht, via Twitter zumindest schon wieder etwas scherzen: «Ich lebe noch!»
Für den Fall der Fälle bietet sich Armstrongs Team-Kollege Levi Leipheimer als Astana-Ersatz-Kapitän für den am 9. Mai beginnenden Giro an. «Ich bin beim Giro - jetzt wahrscheinlich als Kapitän», sagte der US-Profi nach seinem Sieg beim Zeitfahren der Rundfahrt Castilla y León. Seinen Tagessieg hätte er Armstrong gewidmet, «vielleicht bringt ihm das Moral», meinte Leipheimer, der im Februar die Kalifornien-Rundfahrt gewonnen hatte.
22 Stunden nach der Schrecksekunde kehrte ins kasachische Astana-Team die Zuversicht zurück. «Prinzipiell ist es kein Problem, beim Giro dabei zu sein, aber es ist eine andere Sache, ein angemessenes Leistungsniveau zu haben», meinte Teamchef Johan Bruyneel. Es sei aber klar, dass Armstrong kein Sieganwärter bei der am 9. Mai beginnenden Italien-Rundfahrt sein könne. Armstrongs langjähriger Mentor wollte nicht von einer «Katastrophe» sprechen. Zumal der Belgier unverändert davon ausgeht, dass der Texaner am 4. Juli das «Projekt achter Tour-Titel» in Angriff nehmen wird. «Für die Tour wird die Verletzung keine Auswirkungen haben», sagte Bruyneel. Doch klar ist: Durch die Zwangspause wird es für Armstrong bedeutend schwerer, seine hochgesteckten Saisonziele zu erreichen - mit seinem erneuten Sieg bei der Frankreich-Rundfahrt ist kaum zu rechnen.
Nach Erhalt der Diagnose im Krankenhaus von Valladolid hatte sich Armstrong «völlig miserabel» gefühlt und gesagt, in einer Woche Klarheit über den Giro-Start haben zu wollen. Noch aber konnte sich der Texaner nicht festlegen, wann er wieder ins Peloton zurückkehrt: «Dafür ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Ich muss mich erst einige Tage erholen, das Problem fixieren und dann Pläne machen.»
Und so kam es zu Armstrongs «persönlichem Drama» (Milram-Teamchef Gerry van Gerwen»): Auf der ersten Etappe der Castilla-León-Rundfahrt fuhr der Amerikaner an der Spitze des Hauptfeldes, als sich einige Fahrer für den Endspurt in Position bringen wollten. Dabei stürzten unmittelbar vor Armstrong zwei Fahrer, der Rückkehrer konnte nicht mehr ausweichen. «Ich gebe niemandem die Schuld, das passiert ständig», meinte er. Mehr als 15 weitere Fahrer gingen zu Boden. Alle konnten weiterfahren - nur Armstrong nicht. «Lance hat seinen Glücksstern verloren», titelte das spanische Sportblatt «Marca».
Hatte Armstrong, der in seiner langen Karriere viel gefährlichere Momente erlebt, sich aber niemals ernsthaft verletzt hatte, einfach nur Pech gehabt? Miguel Induráin bezweifelt dies. Der fünfmalige Tour-Champion aus Spanien vermutet, dass Armstrong die Kraft fehlt, an vorderster Spitze mitzufahren: «Auf den letzten Kilometern einer Etappe braucht man die Reflexe einer Raubkatze. Wenn die Kräfte schwinden, lassen auch die Reflexe nach, und die Fahrer gehen höhere Risiken ein. Genau das ist bei Lance derzeit der Fall.»
Vielleicht erkennt auch Armstrong, dem so etwas «in meiner ganzen Karriere noch nicht geschehen» ist, dass sein unter großem Getöse angekündigtes Comeback viel schwieriger ist als gedacht. In seinen bisherigen Rennen fuhr der vom Erfolg besessene Astana-Profi in dieser Saison zumeist hinterher, bei Mailand-San Remo landete er abgeschlagen auf dem 125. Platz. Auch die permanenten Doping- Kontrollen dürften die Laune des Ex-Weltmeisters nicht verbessern. Dass er seine Giro-Teilnahme fast schon abhakt, obwohl ein Schlüsselbeinbruch eigentlich nach etwa vier bis sechs Wochen auskuriert sein sollte, passt in dieses Bild. «Er war noch nicht da, wo er sein wollte. Die Verletzung wirft ihn weiter zurück», sagte Milram-Teamchef Gerry van Gerwen der Deutschen Presse-Agentur dpa.
Bei Castilla y León wollten Armstrong und Alberto Contador zum ersten und letzten Mal den Tour-Ernstfall als Astana-Kapitäne proben. Der Tour, Giro- und Vuelta-Sieger aus Spanien bedauerte die Zwangspause seines teaminternen Rivalen: «Es ist schade, dass Lance ausgefallen ist. Nun kann ich ihm nur wünschen, dass er sich möglichst rasch erholt, damit er beim Giro an den Start gehen kann.»