Frankfurt (rad-net) - In deutlichen Worten hat Rudolf Scharping, Präsident des Bund Deutscher Radfahrer, in dieser Woche zur aktuellen Situation des Radsports in Deutschland Stellung genommen, dabei aber auch auf die Vorreiter-Rolle des Radsports im Anti-Doping-Kampf verwiesen. In einem ausführlichen Interview hat er sich dabei zu Sponsoringproblemen, Zukunft des Radsports, den Erfolgen im Anti-Doping-Kampf und einer einseitigen Berichterstattung einiger Medien geäußert.
Herr Scharping, mit welchen Gefühlen und Gedanken haben Sie als
BDR-Präsident die Nachricht vom wahrscheinlichen Dopingfall Stefan Schumacher
aufgenommen?
Rudolf Scharping: Das sind sehr schwerwiegende und
gut untermauerte Vorwürfe. Sie kosten womöglich Schumacher die Karriere. Viel
wichtiger ist aber: für den Profi-Radsport der Männer ist das jetzt endgültig
ein Überlebenskampf. Da ist dann auch kein Platz mehr für Gefühle, da zählt nur
konsequentes Handeln. Das sind wir dem ganzen Radsport, seinen Vereinen und der
großen Mehrzahl sauberer Radsportler auch schuldig. Die sind, wie ich aus vielen
Reaktionen ersehe, mehr als wütend.
Stefan Schumacher schweigt zu den Vorwürfen. Haben Sie versucht, mit ihm
Kontakt aufzunehmen?
Rudolf Scharping: Nein. Wozu auch? Das ist ein
genau geregeltes Verfahren. Das liegt jetzt bei einem unabhängigen Sportgericht.
In Frankreich ist das übrigens nicht nur ein sportgerichtliches Verfahren,
sondern womöglich auch ein Strafverfahren. Das geht in Deutschland nur über den
Verdacht des Betruges und nicht über eine Strafbarkeit des Besitzes, für die ich
immer eingetreten bin.
Sie fordern nicht nur eine Sperre, sondern wollen – wie auch
Gerolsteiner-Teamchef Holczer – gerichtlich gegen Schumacher vorgehen. Welche
Ziele stecken dahinter?
Rudolf Scharping: Wo schwerer und messbarer Schaden
entsteht, werden wir den Ersatz einklagen und dazu laufen die entsprechenden
Prüfungen.
Dieser erneute Dopingfall eines deutschen Spitzen-Radsportlers wird natürlich
Folgen haben. Traditionsveranstaltungen, die sowieso schon Sponsoringprobleme
haben, stehen nun noch näher vor dem Aus. Wie kann der BDR helfen?
Rudolf Scharping: Wir unterstützen Veranstalter, wo
wir können. Es kann aber sein, dass einige Veranstaltungen nur noch in
geänderter Form gerettet werden können. Wir werden das Menschenmögliche tun,
damit unsere jüngeren Sportler nicht ausschließlich in ausländischen Teams, bei
ausländischen Rennen und in einer manchmal doch sehr anderen Sportkultur eine
Zukunft finden. Dieser Verantwortung sollten sich alle Beteiligten bewusst
bleiben.
Andere Veranstalter wenden sich dem Amateurradsport, beispielsweise den
Jedermannrennen zu. Hat der Profiradsport in Deutschland eine Zukunft?
Rudolf Scharping: Das hoffe ich und das ist Teil
unserer Anstrengungen. Die Jedermannrennen habe ich immer unterstützt, schon
beim Entstehen der Deutschland-Tour vor zehn Jahren. Die waren ja anfangs nicht
überall beliebt. Und auch in Zukunft funktionieren Jedermannrennen am besten in
Verbindung mit großen Rennen, wie Hamburg, Frankfurt und andere beweisen.
DOSB-Präsident Thomas Bach stellt die Glaubwürdigkeit des Radsports in Frage
und sogar Forderungen nach einer Olympia-Pause werden laut. Ist Olympia ohne
Radsport wirklich ein realistisches Szenario?
Rudolf Scharping: Das glaube ich nicht. Ich warte
gespannt ab, ob jetzt wirklich alle Proben von den Olympischen Spielen in Peking
auf CERA, auf Insulin oder anderes nachuntersucht werden. Der Sport hat
insgesamt ein Problem namens Doping, das er in einem ständigen Kampf bewältigen
muss. Da nur den Radsport herauszugreifen, wird dem Ernst der Herausforderung
nicht gerecht. Ich frage mich deshalb auch, welche Initiativen ergriffen wurden,
um alle internationalen Grenzwerte zu vereinheitlichen oder erst einmal da
einzuführen, wo es noch gar keine gibt. Am besten wäre es, die schärfsten
Grenzwerte und das System der Blutprofile, des Blutpasses im ganzen Sport
einzuführen – nicht nur im Radsport, wo das ja alles schon verwirklicht ist.
Befürchten Sie, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen aus der
Radsport-Berichterstattung aussteigt, oder haben Sie die Hoffnung, dass der
Kampf gegen Doping angemessen wahr genommen wird?
Rudolf Scharping: Sagen wir es so: der BDR hat 2006
beschlossen, mit der Anlage von Blutprofilen zu beginnen. Wir haben das bei
mehreren internationalen Veranstaltungen vorgestellt. Das Ergebnis sind diese
Blutprofile im Blutpass der UCI. Diese Profile haben zum Beispiel Schumacher in
das Visier der Fahnder gebracht. Nun gibt es seit wenigen Wochen den neuen Test
auf CERA. Das alles zusammen bedeutet ein sehr dichtes und wirksames Netz aus
Kontrollen und Analytik. Ich wundere mich, dass der Radsport hier nicht
wahrgenommen wird als das, was er auch ist und übrigens auch sein muss: nämlich
Vorreiter im Kampf gegen Doping. Für Deutschland füge ich hinzu: wir haben schon
beim DOSB-Bundestag 2006 in Weimar erfolgreich durchgesetzt, dass Prävention
gegen Doping ebenso ernst genommen wird. Wir praktizieren das seither, gemeinsam
mit der Deutschen Sportjugend und mit der PH Heidelberg.
Was das Fernsehen angeht: lieber miteinander sprechen als übereinander. Das ist
besser. Wenn alle Sportarten in Deutschland im TV nicht mehr gezeigt werden
sollten, die international auch mit Doping zu kämpfen haben, dann gäbe es nur
noch wenig Sport zu sehen, fürchte ich.
Der Bund Deutscher Radfahrer führt einen rigiden Anti-Doping-Kampf. Sehen sie
sich da manchmal auf verlorenem Posten, im Vergleich zu anderen Nationen?
Rudolf Scharping: Nein. Ich werbe aber unverdrossen
darum, nicht alles an Medaillen fest zu machen. Bei der WM hatten wir in sechs
Wettkämpfen zwölf Top-Platzierungen, davon fünf Medaillen. Ich nenne als
Beispiel einmal dies: was Trixi Worrack bei den Frauen oder Fabian Wegmann bei
den Männern geleistet hat, war sensationell und spannend. Dass die Frauen im TV
nicht zu sehen waren, ist ja fast schon eine Diskriminierung – so hat es ein
Sprecher im Fernsehen genannt. Schade auch, dass so tolle Sportler wie John
Degenkolb oder Patrick Gretsch manchen kaum eine Sekunde oder Zeile wert sind.
Dem Radsport gelingt es durch immer strengere Kontrollen immer mehr Betrüger
zu entlarven. Das ist zum Wohle des Radsports, sollte man meinen. Das Gegenteil
ist der Fall. Wie wollen Sie dem entgegenwirken?
Rudolf Scharping: Im deutschen Radsport hatten wir
seit der schockierenden Enthüllungs- und Geständniswelle des Jahres 2006 noch
zwei Fälle; den von Sinkewitz und den von Schumacher. Schlimm genug, aber der
deutsche Radsport wird in Mithaftung genommen für internationale
Fehlentwicklungen. Dabei wird manchmal übersehen, wie rigide auch Veranstalter
in Deutschland vorgehen, wie die Deutschland-Tour oder andere. Diese zwei Jahre
dauernden Streitereien zwischen UCI und ASO, also dem Veranstalter der Tour de
France, sind zwar beigelegt – der Schaden aber ist eingetreten. Warum dafür aber
deutsche Veranstaltungen abgestraft werden sollen, ist nicht logisch.
Wie bewerten Sie in diesen schweren Zeiten für den Radsport das Comeback von
Lance Armstrong?
Rudolf Scharping: Er hat das nicht nötig und dem Radsport dient das nicht.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Bei ihrem Amtsantritt 2005 hätten Sie
sicher nicht geglaubt, dass Sie in den folgenden Jahren mehr über Doping als
über den Sport diskutieren müssen. Mit welcher Freude erfüllt Sie heute Ihre Amt
als Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer?
Rudolf Scharping: Wissen Sie was: es macht Spaß,
nicht alles, aber das meiste. Ein Wochenende mit jungen Leuten aus dem Radsport
diskutieren, einen Verein besuchen, die ganze Vielfalt von der Halle über die
Bahn, MTB und alles andere – das ist schon ein toller Sport. Und die
Modernisierung des BDR kommt voran, wenn auch ich dabei manchmal ungeduldig
werde. Nie vergessen: Radsport in Deutschland – das sind auch 2600 Vereine, 5000 Breitensporttermine mit weit über 1,2 Millionen Teilnehmern und tollem
Spitzensport.
Das Gespräch führte Frank Baer für das Fachblatt «Radsport»