Sangerhausen (dpa) - Am Tag nach seinem ersten deutschen Meistertitel im Elite-Bereich genehmigte sich Tony Martin im «Kaiserhof»-Hotel am Fuß des Kyffhäusers einen Pfefferminztee. Die größte deutsche Hoffnung im Radsport hat schon die 97. Tour de France - seine zweite - im Visier.
«Zunächst konzentriere ich mich auf den Prolog. Ich habe mir die 8,9- Kilometer-Strecke auf Google-Map angeschaut - sie könnte mir entgegenkommen. Das Weiße Trikot ist am wahrscheinlichsten. Aber vielleicht wird's sogar Gelb», sagte Martin. So hört sich Optimismus an.
Martins Leistungs-Barometer zeigt nach einem schwierigen Saisonstart mit einer Sehnenentzündung im Knie und einigen Stürzen seit Mai steil nach oben. Seine Zeitfahr-Siege bei der Kalifornien- Rundfahrt und zuletzt bei der Tour de Suisse - jedes Mal hatte er den als nahezu unbezwingbar geltenden Olympiasieger Fabian Cancellara hinter sich gelassen - steigerten die Zuversicht des 25-jährigen Eschborners. «Das hat mir Rückenwind gegeben. Noch im Vorjahr habe ich von Cancellara jedes Mal zwei, drei Minuten gekriegt», sagte Martin vor dem Start der deutschen Straßenmeisterschaft in Sangerhausen.
Sein Tour-Debüt 2009 war bereits vielversprechend: 12 Tage trug der Profi aus dem HTC-Columbia-Team das Weiße Trikot des besten Nachwuchs-Profis. Auf der Prestige-Etappe zum Mont Ventoux wurde er nach seinem Einbruch in den Alpen nur von Routinier Juan Manuel Garate aus Spanien bezwungen. Nach dem Prolog hat Martin bei der kommenden Tour vor allem die letzte und schwerste Woche mit dem 52-Kilometer-Zeitfahren am vorletzten Tag von Bordeaux nach Pauillac und die Pyrenäen-Etappen davor im Blick. «Da will ich mal schauen», meinte der Polizeimeister, der von einer teilweisen Weiterbeschäftigung im Thüringer Staatsdienst Abstand nahm.
«Seit meinem Umzug in die Schweiz habe ich mich entschieden, mich nicht mehr um den Beamten-Status zu bewerben», sagte Martin, der jetzt alles auf die Karte Radsport setzt. Dabei will er versuchen, seine ehrgeizigen Ansprüche zu dämpfen. «Sicherlich ist das Tour- Podium in Paris mal ein Ziel von mir. Aber da sprechen wir von einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren», meinte Martin. Seine Teamchefs mussten schon öfter den jugendlichen Eifer des gebürtigen Cottbusers, der mit seinem Eltern kurz vor der Wende aus der DDR nach Hessen flüchtete, bremsen.
Seine Ziele für die Frankreich-Rundfahrt sind klar abgesteckt: Mögliche Etappensiege haben Vorrang vor einer vorderen Platzierung im Gesamtklassement, zumal ihm der Parcours in diesem Jahr mit nur einem langen Zeitfahren und superschweren Bergetappen nicht unbedingt auf den Leib geschneidert ist. «Michael Rogers ist unser Mann fürs Gesamte und ich werde Helferdienste leisten. Auch bei den Sprints spiele ich sicher wieder eine Rolle in unserem 'Zug' für Mark Cavendish», umriss Martin sein Aufgabengebiet für den Juli. Als Kandidaten für den Toursieg nennt er nur zwei Namen: Alberto Contador und Lance Armstrong.