Kreuzlingen (dpa) - Der befleckten Karriere von Jan Ullrich droht der letzte Doping-Makel, doch der Tour-Sieger von 1997 bleibt trotz der möglichen lebenslangen Sperre «gelassen».
Nachdem die Schweizer Disziplinarkammer drei Jahre nach Ullrichs erzwungenem Aus bei der Tour de France 2006 ein Doping-Verfahren gegen ihn eingeleitet hat, reagierte das einstige Radsport-Idol mit demonstrativer Unaufgeregtheit. «Ich sehe diese Sache gelassen, da ich inzwischen den nötigen Abstand gewonnen habe und zuversichtlich bin, demnächst einen Schlussstrich unter die vergangenen drei Jahre ziehen zu können», schrieb Ullrich auf seiner Internetseite.
Für dieses Ziel werde er weiter kämpfen und sich auch dieser Herausforderung stellen, ließ Ullrich aus seinem Schweizer Domizil in Kreuzlingen wissen. Süffisant fügte der 35-Jährige hinzu, es sei «schon mehr als ein erstaunlicher 'Zufall'», dass diese Nachricht während der Tour verbreitet werde. Sein Manager Wolfgang Strohband nannte das Verfahren einen «Witz. Das ist eine Farce, die da abläuft», sagte Strohband der Deutschen Presse-Agentur dpa.
Ullrich, der alle Dopingvorwürfe zurückweist, will in dem Verfahren die «Frage der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit» der Schweizer Disziplinarkammer in Zweifel ziehen. Da der frühere Telekom-Star bereits im Oktober 2006 den Verband Swiss Cycling nach «rufschädigenden Äußerungen» verlassen habe, unterstehe er nicht der Schweizer Verbandsgerichtsbarkeit, erklärte sein Berliner Anwalt Marcus Hotze der dpa: «Fakt ist: Wir gehen davon aus, dass hier keine Zuständigkeit gegeben ist.»
Dies sehen die involvierten eidgenössischen Behörden naturgemäß anders. Dass Antidoping Schweiz ein Dopingvergehens Ullrichs für erwiesen hält, «dürfte offensichtlich sein», sagte der mit der Sache betraute Jurist Bernhard Welten der «Süddeutschen Zeitung». Nach langjährigen Recherchen im Zusammenhang mit der Doping-Affäre Fuentes halte es die Stiftung des Schweizer Sport-Dachverbandes Swiss Olympic für «notwendig und gerechtfertigt», den Antrag auf Eröffnung eines Verfahrens zu stellen. «Sie sind der Überzeugung, dass ein Straftatbestand besteht, deshalb gibt es jetzt bei uns dieses Verfahren», sagte Gerhard Walter, der Präsident der Schweizer Disziplinarkammer für Dopingfälle, der «SZ».
Sollte die Kammer Ullrich am Ende sperren, würde Deutschlands «Sportler des Jahres» von 1997 und 2003 erstmals seit langer Zeit wieder wegen Dopings belangt werden. Ob die Ermittlungen der Bonner Staatsanwaltschaft, der Prozess gegen seinen einstigen Coast-Teamchef Günther Dahms oder der noch vor dem Landgericht Hamburg ansässige Rechtsstreit mit dem Doping-Jäger Werner Franke - trotz belastender Indizien hatte Ullrich zuletzt alle juristischen Scharmützel weitgehend schadlos überstanden. Selbst dass ihm der Bonner Staatsanwalt Fred Apostel eine Zusammenarbeit mit dem mutmaßlichen spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes nachgewiesen hatte, wurde ihm nicht zum Verhängnis. Gegen Zahlung einer angeblich sechsstelligen Summe wurde im April 2008 die Ermittlungen gegen ihn eingestellt.
In dem Schweizer Indizienprozess muss Ullrich mit einer lebenslangen Sperre, die ihm eine Rückkehr in den Profi-Radsport egal in welcher Funktion verbieten würde, rechnen. Nach seiner sechsmonatigen Sperre wegen einer Positivprobe auf Amphetamine im Jahr 2002 gilt er als Wiederholungstäter. Ullrich plagen derweil ganz andere Sorgen. Seine Stellungnahme schloss er mit dem Satz: «P.S. Mein Blinddarm hat sich trotz der Meldung wieder beruhigt.»