Genf (dpa) - Jan Ullrich steht mit dem Rücken zur Wand und macht sich keine Illusionen. «Ich habe eine Menge aufzuholen und renne meiner Form hinterher», erklärte der 32-jährige T-Mobile-Kapitän vor seinem Saisonstart bei der 60. Tour de Romandie.
«So spät bin ich noch nie in die Saison gestartet, ich habe einen Riesenrückstand», sagte Ullrich, den eine Reizung im rechten Knie drei Wochen lang quasi lahm gelegt hatte. Seine Leistungen beim 3,4 Kilometer langen Prolog zum Auftakt in der Genfer Innenstadt bestätigten seine reservierte Haltung. Auf dem kurvenreichen und welligen Parcours verlor Ullrich 26 Sekunden auf die Bestzeit des zweifachen Giro-Gewinners Paolo Savoldelli (Italien/4:27,32). «Ich war nicht unaufgeregt. Es hat Spaß gemacht, nach so langer Zeit, wieder ein Rennen zu fahren. Ich bin auf dem sehr technischen Kurs nicht volles Risiko gefahren, es gab noch einige nasse Gullydeckel», sagte Ullrich nach dem Prolog.
Die Fakten sind ernüchternd: In 66 Tagen beginnt die Tour de France in Straßburg. Sein letztes ernsthaftes Rennen hatte Ullrich vor seinem Wiedereinstieg im August 2005 bei der Deutschland-Tour bestritten. «Ich weiß, welche Schmerzen jetzt kommen. Vor dieser Woche habe ich schon ein bisschen - Angst davor will ich nicht sagen - sehr großen Respekt», sagte der Toursieger von 1997 im Hinblick auf die folgenden vier Bergetappen der anspruchsvollen Tour durch die Westschweiz.
Aber es gibt auch gute Nachrichten vom zweifachen Sportler des Jahres. «Auf der Waage bin ich im Limit», sagte Ullrich und präsentierte sich beim Romandie-Start nicht wie befürchtet mit Hobbysportler-Figur. Die von seinem Kritiker Bjarne Riis errechneten zehn Kilogramm Übergewicht erreicht er vermutlich nicht. Seine Äußerungen seien in der dänischen Presse etwas überpointiert wiedergegeben worden, sagte Riis der dpa.
«Ich will Jan doch nichts Böses. Ich habe ihn in der Toskana beim Training vor etwa zehn Tagen getroffen, und da sah er ein bisschen fett aus. Ich sage immer ehrlich, was ich denke. Er hat noch sehr viel Arbeit vor sich, wenn er bei der Tour de France eine Siegchance haben will», meinte sein früherer Team-Kapitän und unmittelbarer Vorgänger als Toursieger.
Ullrich, der sich besonders vor den Bergetappen am Freitag und Samstag fürchten muss, dürfte sich in einer ähnlichen Situation wie 2004 befinden. Vor zwei Jahren bekam er bei seinem Saisoneinstieg beim Flèche Wallonne die Quittung für nicht immer gewissenhafte Arbeit in der Vorbereitung: Er konnte dem Tempo des Hauptfeldes nicht folgen, stieg aus und musste in einer fünfwöchige Trainings-Klausur nachsitzen. Danach überraschte er bei der Deutschland-Tour im Mai mit Platz zwei im Zeitfahren, um allerdings in Frankreich zum ersten Mal in seiner Karriere auf Rang vier das Podium zu verpassen.
Diesmal soll trotz allem bei seiner womöglich letzten Tour viel mehr herauskommen. «Ich zweifle nicht an mir. Die Grundlage ist da: Ich habe im Winter gut trainiert. Acht Wochen bis zur Tour sind nicht so viel, dass ich es nicht mehr schaffen könnte», sagte Ullrich, der nach Überwindung seiner Knie-Probleme erst «seit zehn Tagen wie ein Profi» trainieren konnte.
Positiv mag auch Teamchef und Ullrich-Intimus Rudy Pevenage in die Zukunft schauen: «Er hat 10 000 Kilometer in den Beinen. Ich bin sicher, er holt den Vorsprung der Konkurrenz bis zur Tour auf. In der letzten Woche des Giro d'Italia erwarte ich ihn Ende Mai dort, wo er bei seinem Debüt in Italien 2001 auch stand. Dann sollte er langsam auf Tour-Kurs sein.»