London (dpa) - Doping als Dauer-Begleiter, fragwürdige Leistungen, eine Starterliste wie eine Lostrommel und Ausstiegs-Drohungen von Sponsoren und vom Fernsehen: Der Radsport und damit die 104 Jahre alte Tour de France stehen wie noch nie vor einer Fahrt ins Ungewisse.
Trotzdem gilt ab dem 7. Juli «Business as usual», wenn die Frankreich-Rundfahrt durch Londons City mit dem 7,9-Kilometer-Prolog vorbei an Trafalgar Square, Buckingham Palace und Westminster beginnt. Schöne Fernseh-Bilder in alle Welt sind garantiert, in der Stadt sind 19 Video-Wände installiert. Aber der Schein trügt wie so oft. Es droht die Tour als Farce.
Unmittelbar vor dem Start stand weder fest, wer wirklich fahren darf, noch - wegen des laufen Verfahrens gegen Floyd Landis - der Vorjahressieger. Die Starnummer 1 wurde nicht vergeben. Nach der Geständniswelle von Profis und Ex-Fahrern sowie positiven Doping-Tests blieben bereits die Astana-Protagonisten Matthias Kessler und Eddy Mazzoleni sowie der Team-Berater Walter Godefroot («Ich habe schreckliche Rückenschmerzen»), Milram-Topsprinter Alessandro Petacchi und Giro-Sieger Danilo Di Luca (Liquigas) auf der Strecke. Der in Verdacht geratene Alexander Winokurow und der angeblich in die Doping-Affäre Fuentes verstrickte Spanier Alejandro Valverde, der zwei Tage vor dem Start die Ehrenerklärung des Weltverbandes UCI unterschrieben hat, müssen um die Tour-Zulassung zittern.
Mit gezielten Kontrollen und Verpflichtungserklärungen der Profis, die bei Doping-Vergehen ein Jahresgehalt riskieren, versucht die UCI, den Weg für eine «saubere» Tour zu ebnen. Der geständige CSC-Teamchef Bjarne Riis, der seinen Tour-Sieg 1996 mit EPO-Missbrauch errang, und der vom Deutschen Jörg Jaksche mit schweren Dopingvorwürfen belastete Milram-Chef Gianluigi Stanga haben ihre Teilnahme an der Frankreich-Rundfahrt verkündet.
Das letzte Wort haben die Organisatoren, die sich auch im Vorjahr nicht scheuten, darauf zu dringen, dass die Topfavoriten Jan Ullrich und Ivan Basso nach Hause geschickt wurden. Bei neuen Doping- Erschütterungen während der Tour haben ARD und ZDF, die 90 Stunden übertragen wollen und nicht unerheblich zum Tour-Etat beitragen, ihren vorzeitigen Ausstieg noch einmal bekräftigt.
Zwei Tage vor dem Beginn der Tour, die am 29. Juli auf den Pariser Champs Elysées nach 3569,9 Kilometern endet, weist der Stand der im Moment aktuellen Starterliste vier Topfavoriten aus: Der Kasache Winokurow und der Wahlschweizer Andreas Klöden von Astana, der Spanier Valverde von Caisse d'Epargne und der Ex-Gerolsteiner Levi Leipheimer (USA) von Discovery Channel. Ein Tour-Sieg wäre für das Quartett ein Novum. Die vier Genannten erfüllen nicht gerade das Credo des neuen Tour-Chefs Christian Prudhomme, der «auf neue, frische Gesichter» wartet.
«Wenn nicht jetzt, wann dann?», fragte sich Winokurow, der sich zum ersten Mal in seiner Karriere ausschließlich auf die Tour vorbereitet hat. Im Frühjahr trat er kürzer als sonst und hinterließ bei der Generalprobe Dauphiné Libéré in den französischen Alpen ein schwer zu deutendes Bild. Der 33-jährige Kasache gewann das Zeitfahren und die Schluss-Etappe, büßte bei den zwei schwersten Bergetappen aber Zeit ein. Der Weltverband UCI ist Winokurow seit seinem Vuelta-Sieg im Vorjahr auf den Spuren, als er zusammen mit Andrej Kaschetschkin eine Doping-Kontrolle verpasste.
Der siebenmalige Tour-Sieger Lance Armstrong, mit dessen erstem Erfolg die «neue Tour» 1999 nach dem großen Skandaljahr 1998 begann, glaubt nicht an Bluff. «Vor der Dauphiné war Alexander mein großer Favorit. Jetzt habe ich aber Zweifel. Die Tour wird sehr offen», meinte der vor zwei Jahren zurückgetretene Texaner. Die sportliche Zäsur nach seiner Siegesserie endete für die Tour 2006 mit dem Landis-Desaster.
Aus deutscher Sicht stehen neben Klöden, der 2005 Zweiter und im Vorjahr Dritter war, besonders die Tour-Debütanten Stefan Schumacher (Nürtingen) und Linus Gerdemann (Münster) im Fokus. Der 24-jährige Gerdemann ist dem Status des «ewigen Talents» entwachsen und spekuliert auf das Weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers, das Markus Fothen 2006 am vorletzten Tag abgegeben musste. Der Hoffnungsträger aus dem Team Gerolsteiner, mit knapp 67 Kilogramm am Berg leichter denn je, spekuliert auf das Gesamtklassement, das er im Vorjahr als Debütant auf Rang 15 abschloss.
Der 25-jährige Schumacher, dessen Stern im Vorjahr mit zwei Etappensiegen beim Giro d'Italia aufging, ist mit seinen Erfolgen beim Amstel Gold Race und der Bayern-Rundfahrt der erfolgreichste deutsche Radprofi 2007. Bei der Tour ist einiges von dem Schwaben zu erwarten: «Mit einem guten Prolog habe ich in der ersten Woche die Chance auf das Gelbe Trikot.» Gute Aussichten auf einen Start in Gelb rechnen sich beim Prolog aber auch Bradley Wiggins (England) und David Millar aus. Der Schotte hatte vor der Tour 2006 seine zweijährige Dopingstrafe abgesessen.