Dax (dpa) - Tour de France statt Krankschreibung: Tyler Hamilton, seit der 1. Etappe mit erheblich lädiertem Schlüsselbein unterwegs, hat sich die Tapferkeits-Medaille verdient. Der 32-jährige Amerikaner aus dem dänischen CSC-Team des ehemaligen Tour-Siegers Bjarne Riis wuchs ein weiteres Mal über sich hinaus.
Der frühere Helfer von Lance Armstrong, als selbstloser Wegbereiter beteiligt an drei Tour-Siegen seines Landsmanns, gewann die letzte Pyrenäen-Etappe im Alleingang und verbesserte sich im Gesamtklassement auf Rang 6. Im Ziel konnte der Gewinner des diesjährigen Weltcup-Rennens Lüttich- Bastogne-Lüttich den ersten Etappensieg bei seiner siebten Tour-Teilnahme feiern.
Dabei trotzte Hamilton über 95 km als Solist einem Mannschafts-Zeitfahren, das hinter ihm unter den Verfolgern stattfand, um den Ausreißer noch zu stellen. Die «L'Equipe» konstatierte nach den gigantischen Leistungen des kleinen Mannes aus Marblehead, der «Heilige Geist» Hamilton habe in Bayonne gewonnen. «Jan hat mich über Funk gefragt, was denn vorne los sei, ob Hamilton mit einem Fahrrad oder mit einem Motorrad unterwegs ist», erzählte Bianchi-Teamchef und Ullrich-Betreuer Rudy Pevenage («ich hätte nicht gedacht, dass er durchkommt») hinterher.
Beim Aufstieg zum Bagarguy weinte der CSC-Kapitän, der nach seinem Sturz von Meaux eigentlich längst eine ruhige Schonhaltung hätte einnehmen sollen, vor Schmerzen. «Das war der härteste Tag meiner Karriere», sagte Hamilton im Ziel. Sein früherer Chef Armstrong herzte ihn nach der Energieleistung, die nach Meinung einiger Beobachter wenig Wundersames hat.
Wegen seiner trotz Verletzung ungebrochen starken Vorstellungen im Flachland und in den Bergen waren Zweifel aufgekommen, ob tatsächlich ein doppelter Haarriss Hamiltons Schlüsselbein in Mitleidenschaft gezogen hat. Telekom-Manager Walter Godefroot, früherer Arbeitgeber von Riis, quälte Hamilton mit der bösen Unterstellung, hinter der Aktion stecke ein Bluff und ein «billiger amerikanischer Werbetrick».
Verständlich, dass Hamilton, der seinen lädierten Oberkörper täglich mit Tape-Band bandagiert, auf die Palme geht. «Jeder kann gerne seine Meinung sagen, aber Godefroot nennt mich damit einen Lügner. Er kann sich gern die Röntgenaufnahmen anschauen. In der ersten Woche waren die Schmerzen höllisch. Jetzt habe mich daran ein bisschen gewöhnt», sagte der Patient, der nach einem Fahrradunfall mit dem Mountainbike als 19-jähriges Mitglied der Skilanglauf-Nationalmannschaft der USA seinen ersten großen Sportunfall erlitt. Anschließend lag er zwei Monate im Gipsbett.
Hamilton, der heftig von der Schweizer Mannschaft Phonak umworben wird, ist Leidensexperte. Im Vorjahr fuhr er beim Giro d'Italia tagelang mit einer gebrochenen Schulter - bis auf Rang 2 in Mailand. Er ist immer nett, zurückhaltend, sagt immer «Danke», wie sein Teamchef bemerkt - und ist vielleicht sogar «ein Engel», wie die «L'Equipe» vermutete.
Auf jeden Fall hatte sich der Amerikaner in der Spitzengruppe nach Armstrongs Sturz im Anstieg nach Luz Ardiden mächtig ins Zeug gelegt für den Gefallenen und erinnerte die Konkurrenz wild gestikulierend an das eherne Tour-Gesetz der Rücksichtnahme in solchen Fällen. Ullrich, für seine Ritterlichkeit hinterher hoch gepriesen: «Hamilton hatte wohl angst, wir warten nicht.»