Madrid (dpa) - Federico Martín Bahamontes, besser bekannt als «Der Adler von Toledo», kann es kaum glauben. «Früher staunten wir über die Siege anderer, nun gehören wir sportlich selbst zur Weltelite», sagt der rüstige 80-Jährige, der 1959 als erster Spanier die Tour de France gewann.
In der Tat: Vor einem Monat gewann Spanien erstmals seit 44 Jahren die Fußball-EM, eine Woche später feierte Rafael Nadal den ersten spanischen Wimbledon-Sieg im Herren-Einzel seit 1966 und nun siegte Carlos Sastre als dritter Spanier nacheinander bei der Tour de France.
Das unter der Franco-Diktatur (1939-1975) lange Zeit isolierte Land hinter den Pyrenäen erlebt das sportlich bislang erfolgreichste Jahr seiner jüngeren Geschichte. Von einer «totalen Revolution» sprach die angesehene Zeitung «El País»: «2008 ist das Annus mirabilis (Wunderjahr) des spanischen Sports.» Und noch stehen die Olympischen Spiele bevor. «Alle Träume sind erlaubt», schwärmt das Blatt mit Blick auf Peking. «Siegen wird für Spanien zur Gewohnheit», stellte zuvor schon die Sportzeitung «As» selbstbewusst fest. «Was früher alle 20, 30 oder 40 Jahre geschah, wiederholt sich nun in einem erstaunlichen Tempo.»
Die neuen Helden, zu denen auch Fernando Alonso in der Formel 1, NBA-Star Pau Gasol, die Motorradfahrer Dani Pedrosa und Jorge Lorenzo oder Synchronschwimmerin Gemma Mengual zählen, machen die Spanier aber nicht nur stolz. Die sportlichen Erfolge kommen auch zu einer Zeit, in der viele wegen der Wirtschaftskrise im Land eher ein «Annus horribilis» (schreckliches Jahr) durchmachen: Nach jahrelangem Boom drücken zunehmende Arbeitslosigkeit, die Rekord-Inflation und die steigenden Hypotheken aufs Gemüt. «Die Siegesfreude lässt uns all dies vergessen», meinte «As»-Direktor Alfredo Relaño.
Auch Tour-Sieger Sastre schlägt in die gleiche Kerbe: «Es hat uns viel Mühe gekostet, in Fahrt zu kommen. Aber nun sind wir auf der Höhe vieler Länder, die uns voraus waren.» Der 33 Jahre alte Veteran hat zudem bewiesen, dass mit Ausdauer Erfolg auch im sportlich gesehen «hohen Alter» möglich ist. Sastre ist seit 1980 der älteste Erstlings-Sieger der «Großen Schleife», der Triumph kam für ihn im achten Anlauf. «Wie die Kinder haben auch wir Erwachsene Träume. Meiner ist praktisch zum Ende meiner Karriere wahr geworden.»
Umso größer ist auch der Jubel in seinem Heimatdorf El Barraco bei Avila, wo der in Madrid geborene Sastre aufgewachsen ist. Fast alle 2000 Einwohner feierten auf der Straße, als der 33-Jährige mit seinen Kindern Claudia und Yeray das Siegerpodest auf den Champs Élysées betrat. «Er ist der Beste», rief eine zu Tränen gerührte Frau, die ihn seit Kindesbeinen kennt. «Und dann ist er auch noch so bescheiden!» Tatsächlich sind Sastre Starallüren fremd. Seinen Sieg widmete er seinem Schwager, dem 2003 mit nur 32 Jahren gestorbenen Radprofi und Kletter-Experten José María «Chava» Jiménez, der ebenfalls aus El Barraco stammte. Dort betreibt Sastres Vater eine Kaderschmiede für junge Radfahrer.
Dass in Sastre ein «Saubermann» in Sachen Doping die Tour gewann, macht den Sieg für Spanien zwei Jahre nach Aufdeckung der Fuentes-Affäre und anderer Dopingfälle noch wertvoller. «Sein Erfolg hätte für den spanischen Radsport in keinem besseren Augenblick kommen können», schrieb deshalb das Sportblatt «Marca». Sastre ist das durchaus bewusst. «Das Etikett der Verdächtigen werden wir wohl nie wieder los. Aber ich möchte ebenfalls laut und deutlich sagen, dass es in diesem Sport auch anständige Leute gibt, die sich tagtäglich auf ehrliche Weise für ihr Ziel aufopfern.»