Berlin (dpa) - Beim zweiten Teil seiner Rücktritts-Inszenierung schwitzte Jan Ullrich in einem Talkshow-Auftritt in der ARD Blut und Wasser.
Nach der Sendung war klar, warum der des Dopings verdächtigte Ex-Radprofi zuvor vor 150 Journalisten in einem Hamburger Hotel Fragen nicht gestattet hatte und sich in einem 45-Minuten-Monolog erging. Bei Reinhold Beckmann wirkte der 33-Jährige wie ein stammelnder Schüler vor dem gestrengen Direktor. Fazit beider Präsentationen: Ullrich trug nichts zur Aufklärung der Doping-Affäre Fuentes bei, die ihn letztendlich zum Rücktritt zwang, er attackierte Funktionäre, Verbände und Medien und sagte über sich: «Ich bin ein glücklicher Mensch. Keine Angst: Ich springe nicht von der Brücke».
Das Presseecho seiner bizarren Rücktritts-Erklärungen, für die wohl seine neue PR-Agentur verantwortlich zeichnete, war im In- und Ausland einhellig: Wieder ein Mal hatte der in Deutschland einst als Jahrhundert-Sportler gefeierte Toursieger von 1997 eine Chance vertan. «Jan Ullrich oder die Geschichte eines Hochbegabten mit einem verpfuschten Schicksal» schrieb die französische «Libération».
Ex-Profi Miguel Indurain, an dessen Sturz vom Tour-Thron 1996 Ullrich mitwirkte, kommentierte in der spanischen Sportzeitung «Marca»: «Es ist schade, dass Ullrich auf diese Weise Abschied nimmt. Er war ein Jahrzehnt lang der Fahrer mit der größten Klasse.» Die «Basler Zeitung» registrierte den «letzten Ausreißversuch von Ullrich», der seinen Abschied «durch die Hintertür in bizarrer Atmosphäre» vollzog.
Im Gegensatz zu Ullrichs Presseerklärung im Intercontinental-Hotel an der Alster, die offensichtlich vorher mit Ullrich geübt worden war, durften am Abend bei seinem TV-Auftritt Fragen gestellt werden. Beckmann bohrte, aber der gehemmt wirkende Radprofi, der erst ruhiger wurde, als seine Ehefrau Sara neben ihm Platz genommen hatte, konnte nicht über seinen Schatten springen. Er wiederholte den in einem ihm drohenden Strafrechts-Verfahren unverfänglichen und offensichtlich eingepaukten Satz: «Ich habe in meiner Karriere nie jemanden betrogen oder geschädigt.» «Bild» zitierte Ullrich mit den Worten: «Ich habe nie gedopt».
Den Namen Fuentes nahm er im Fernseh-Kreuzverhör nicht in den Mund. In den Wochen seit seiner Suspendierung am 30. Juni 2006 hatte er mehrmals erklärt, den umstrittenen Mediziner und mutmaßlichen Doper aus Madrid weder zu kennen, noch gar Kontakt zu ihm gehabt zu haben. Auf die Frage «Ist der Radsport Doping-verseucht?» antwortete Ullrich: «Das wüsste ich auch gerne.» Als Rettungsanker sollte ihm in heiklen Situationen auf der Beckmann-Couch die mehrmals wiederholte Formulierung dienen, dass er sich zu dem schwebenden Verfahren nicht äußern dürfe: «Da höre ich mal auf meine Anwälte.»
Gerne schon früher hätte er die von vielen seit langem geforderte DNA-Analyse abgegeben, stellte Ullrich fest. «Ich wusste nicht, wo und bei wem. Mich persönlich hat nie jemand danach gefragt», erklärte Ullrich, bei dem sich schnell kleine Schweißperlen auf der Oberlippe gebildet hatten. Sollte es der gegen ihn ermittelnden Bonner Staatsanwaltschaft gelingen, die von Ullrich vorliegende Speichelprobe mit dem Inhalt der dem Olympiasieger von 2000 zugerechneten Blutbeutel aus Fuentes' Besitz abzugleichen, wären die Anklageführer einen entscheidenden Schritt weiter. Ullrich beteuerte, er sei auch daran interessiert, dass die Affäre endlich geklärt werde. «Dann kann ich reden», versprach er Beckmann zum Abschied nach 75 zähen Minuten.
Ullrichs Zukunft dürfte sich als Berater und Repräsentant des österreichischen Zweitliga-Teams Volksbank und zweier Firmen für Funktionskleidung und Reifendichtungen erschöpfen. Als «Radsport- Experte» für das Fernsehen ist er wahrscheinlich schwer vormittelbar. «Es gibt keinerlei Verhandlungen und ich denke, es wäre auch schwer vorstellbar», sagte ZDF-Tour-Teamchef Peter Kathmann.