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«Ich habe noch eine Menge zu lernen, wenn ich wirklich bei den Großen mitspielen will», sagt Dominik Nerz. Foto unten: Der 24-jährige am Samstag im Ziel nach seinem sechsten Platz auf der vorletzten Vuelta-Etappe. Fotos: M. Deines - Promediafoto/BMC
16.09.2013 14:47
Nerz nach seinem Vuelta-Erfolg im Interview mit «rad-net»: «Gezeigt, dass ich Potenzial habe»

Kreuzlingen (rad-net) - Nachts um drei Uhr war Dominik Nerz nach drei Wochen Vuelta wieder zurück zu Hause in Kreuzlingen. Im Gepäck hatte der 24-Jährige den 14. Platz der Gesamtwertung und zwei Top-Ten-Platzierungen - aus deutscher Sicht das beste Resultat bei einer großen Rundfahrt in jüngster Zeit.

Der BMC-Profi entstammt der hoffnungsvollen deutschen Radsport-Generation um Marcel Kittel und John Degenkolb, mit denen er auch regelmäßig für die U23-Nationalmannschaft im Einsatz war. Nerz wechselte Anfang dieser Saison von Liquigas-Cannondale zum US-Rennstall, wo er für zwei Jahre unterschrieb.

Der gebürtige Wangener und Wahl-Schweizer spricht im «rad-net»-Interview über die Strapazen der vergangenen drei Wochen, die Gründe für seine starke Form und seine Ambitionen für die Straßen-Weltmeisterschaft vom 22. bis 29. September in Florenz.

Herr Nerz, auf der vorletzten Etappe hoch zum Alto de L'Angliru schien es, als würden Sie auch nach drei Wochen Vuelta nicht müde. Gilt das nach Abschluss der Spanien-Rundfahrt immer noch?

Nerz: Ich bin müde - definitiv! Jetzt kann ich’s auch zugeben. Über die drei Wochen habe ich versucht, mir selber gar nicht einzugestehen, dass ich müde sein könnte.

Wie sind Sie denn insgesamt durch die letzten drei Wochen gekommen?

Nerz: Mit vielen Ups and Downs, wobei ich schon sagen muss, dass es von der Tendenz her eher nach oben ging. Aber es gab sicherlich Momente, wo ich mich gefragt habe: «Warum mache ich eigentlich Radsport?» Aber das ist normal in einer Drei-Wochen-Rundfahrt.

Wann war das? Auf der 14. Etappe von Baga nach Andorra, wo die Wetterbedingungen mit Nebel, Regen und Kälte extrem waren?

Nerz: Zum Beispiel, ja. Da war das Limit erreicht, von dem was man so körperlich aushalten kann. Mit dem Wissen, dass am nächsten Tag das Wetter ähnlich sein wird, war das ein Punkt, an dem ich gedacht habe: «Oah, warum?»

Wenn Sie jetzt den 14. Gesamtrang sehen: Haben sich die Mühen gelohnt?

Nerz: Auf jeden Fall. Ich bin super zufrieden. Wenn mir jemand vor der Vuelta gesagt hätte, dass ich unter die Top 15 der Gesamtwertung fahren würde, hätte ich ihm vielleicht ein müdes Lächeln geschenkt. Ich wusste, dass ich mich sehr gut vorbereitet habe, aber dass ich wirklich die Kraft habe über drei Wochen so konstant zu fahren, hat mich fast selber ein bisschen überrascht. Leider warte ich noch auf meinen lange ersehnten Sieg, aber die Gesamtwertung ist auch einiges wert.

Auf der 16. Etappe haben Sie als Vierter Ihren ersten WorldTour-Sieg verpasst. Ist der Ärger darüber inzwischen verflogen?

Nerz: Mittlerweile ist es okay, aber nach dem Rennen hätte ich mir am liebsten selber ein Bein abgehackt. Ich war so wütend über mich selbst. Im Rennen wusste ich: «Du kannst in der Gesamtwertung Boden gutmachen, aber Du kannst auch um den Etappensieg mitfahren.» Dann habe ich mich für die schlechteste Lösung entschieden und den Mittelweg genommen - letztendlich kam dann gar nichts dabei heraus. Das nagt an einem. So etwas wird mir nie wieder passieren!

Insgesamt betrachtet läuft es zurzeit aber rund bei Ihnen. Woran liegt das?

Nerz: Wie gesagt: Ich habe mich schon das ganze Jahr extremst auf meinen Sport konzentriert und versucht, an vielen Dingen zu arbeiten und sie zu perfektionieren. Zum Beispiel was das Zeitfahren anbelangt, aber auch die Ernährung und Trainingssteuerung - das Gesamtpaket habe ich mithilfe meiner Trainer und Betreuer nochmal optimiert. Das war jetzt das erste Rennen, wo sich das richtig ausgezahlt hat, auch wenn es in Polen schon ganz gut lief. Damit habe ich mir selber bewiesen, dass sich die ganzen Mühen und der Verzicht auf viele Dinge gelohnt haben.

War das der stärkste Dominik Nerz, den es je gegeben hat?

Nerz: Ich hoffe natürlich nicht. (lacht) Ich habe jetzt gezeigt, dass ich Potenzial habe und will versuchen, mich weiterzuentwickeln. Mit 24 gehöre ich zwar nicht mehr zu den Allerjüngsten, aber doch zu den eher Jüngeren. Mit BMC habe ich eine Mannschaft gefunden, die mich super unterstützt. Dadurch, dass ich jetzt meine Fähigkeit gezeigt habe, über drei Wochen gut zu fahren, wird sich eventuell auch im nächsten Jahr nochmal einiges ändern. Vielleicht muss ich bei einer Rundfahrt nicht erst für jemand anderen arbeiten und dann erst im Verlauf einer Rundfahrt die Kapitänsrolle übernehmen. Vielleicht geht es dann nochmal ein paar Plätze weiter nach vorne.

Aus deutscher Sicht war das eine der besten Gesamtplatzierungen bei einer großen Rundfahrt in jüngster Zeit. Macht Sie das ein bisschen stolz?

Nerz: Sicherlich. Es ist für mich immer ein bisschen schwierig: Ich sehe meine Leistung, den 14. Platz, das ist supergut. Aber ich habe noch eine Menge zu lernen, wenn ich wirklich bei den Großen mitspielen will. Ich würde mich niemals mit einem Andreas Klöden oder sonst irgendjemandem vergleichen - das sind für mich die richtig großen Rundfahrer. Aber trotzdem bin ich auf meine Leistung stolz und kann sagen: «Das ist für den Anfang richtig gut.»

Wo sehen Sie den deutschen Radsport anno 2013?

Nerz: Ich habe das Gefühl, dass es langsam wieder aufwärts geht. Der große Boom ist es noch nicht, aber man merkt, wie langsam das Interesse und das Vertrauen der Zuschauer zurückkommt. Das macht mich als Radsportler glücklich, weil wir die Zuschauer - wie bei jeder anderen Sportart auch - natürlich brauchen, sonst würde es den Radsport nicht geben. In anderen Ländern feiern die Leute den Radsport ja auch.

Wie war das jetzt bei der Vuelta?

Nerz: Was man vorgestern am L'Angliru gesehen hat, das war Wahnsinn. Ich bin ja im letzten Jahr auch die Tour gefahren, da waren über die gesamte Strecke auch auf den flachen Zwischenstücken teilweise mehr Leute, aber was da vorgestern los war, steht der Tour in gar nichts nach. Ich musste nach dem Ziel den Berg mit dem Rad wieder herunterfahren: Nach unten habe ich länger gebraucht als nach oben, weil ich durch die ganzen Menschen gar nicht durchgekommen bin, teilweise musste ich laufen. Das war insgesamt sehr beeindruckend und macht einfach Freude. 

Geht der Blick auch schon auf die Straßen-Weltmeisterschaften in Florenz Ende September?

Nerz: Klar, da würde ich sehr gerne fahren. Wenn ich die Form bis zur Weltmeisterschaft halten kann, wird das eine interessante Sache für mich. Der Kurs ist superschwer und wir haben gute Eintagesfahrer wie Fabian Wegmann, Paul Martens oder John Degenkolb.

Was ist für das deutsche Team bei der WM möglich?

Nerz: Das ist sehr schwer zu sagen. Ich habe den Kurs noch nie live gesehen, aber über unsere Sportlichen Leiter, die dort in der Nähe wohnen, viel gehört. Vom Streckenplan her ist dieser Kurs sehr selektiv, man könnte ihn fast als Höllenkurs bezeichnen. Das ist schon Wahnsinn, was wir da hoch und runter müssen - über die Distanz wird das nicht einfach. Aus deutscher Sicht haben wir auf jeden Fall Leute, die vorne mitfahren können, aber wir müssen mit einer guten Taktik antreten. Wenn wir irgendwo zu viel Kraft rausschleudern, werden wir das am Ende bitter bezahlen. Wir sind leider nur mit sechs Mann am Start und das werden wir sicherlich merken. Für uns ist es wichtig, dass wir ein schlaues Radrennen fahren. Wir müssen nicht die Stärksten sein, aber wir müssen die Schlauesten sein.

Wie sieht Ihr Programm zur Regeneration in den nächsten Tagen aus?

Nerz: Ein bisschen werde ich mich dann doch auf dem Rad bewegen müssen. Heute werde ich das aber mal sein lassen und nicht aufs Rad steigen. Ansonsten werde ich mich gut ernähren, um wieder zu Kräften zu kommen, ein bisschen schlafen und bei Familie und Freunden Moral tanken. Ich denke, dann bin ich wieder hergestellt.

Was steht dann als nächstes auf dem Rennplan?

Nerz: Am Wochenende werde ich ein Zwei-Tages-Rennen in Belgien fahren - und dann kann die WM kommen.

zum Sportlerportrait von Dominik Nerz auf rad-net.de


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