Paris (dpa) - Der Abgang von der Radsport-Bühne war ebenso perfekt wie seine Vorstellungen seit 1999. Ganz oben auf dem Siegerpodest genoss Lance Armstrong den letzten großen Applaus seiner Karriere.
Mit dem siebten Gesamtsieg in Serie, veredelt mit dem Triumph beim Einzelzeitfahren in St. Etienne, bewies der 33-jährige Amerikaner optimales Timing. Bei allem Respekt vor den Leistungen des scheidenden Jahrhundert-Sportlers machte Jean-Marie Leblanc aus seiner Erleichterung keinen Hehl: «Ich bin froh, dass ich noch eine Tour ohne Armstrong leiten darf. Das verspricht auf jeden Fall mehr Spannung», sagte der Tour-Direktor, der Armstrong «für den Prototypen des Leistungssportler im 21. Jahrhundert» hält.
Mit seinem Statement sprach Leblanc, der 2007 von Christian Prudhomme beerbt wird, vielen aus dem Herzen. Obwohl keiner der unsterblichen Tour-Helden wie Merckx, Indurain, Hinault und Anquetil das Gelbe Trikot öfter nach Paris trug, weinen nur wenige dem Amerikaner eine Träne nach. Zu groß war die Dominanz des stets respektierten, aber vor allem in Frankreich ungeliebten Seriensiegers, der 75 Tage in Gelb fuhr und 22 Etappensiege feierte. Selbst alle Versuche der Tour-Direktion, die Chance des vermeintlichen Übermenschen durch veränderte Streckenprofile zu schmälern, verpufften wirkungslos.
Seine außergewöhnliche Leidensfähigkeit führt Armstrong auf seinen erfolgreichen Kampf gegen den Krebs zurück. So schlimm wie die niederschmetternde Diagnose im Jahr 1996 und die folgenden vier Chemotherapien konnte kein Anstieg der Tour de France sein. Nur drei Jahre, nachdem die Ärzte ihm eine Überlebenschance von drei Prozent eingeräumt hatten, erfüllte er sich mit seinem Tour-Sieg einen Lebenstraum. «Der Krebs ist die Tour de France der Krankheiten», schrieb er in seiner Biografie. Sein Durchhalten und die nach seiner Genesung gegründete Stiftung ermutigten viele Krebskranke.
Fortan blieb der Konkurrenz nur das Nachsehen. Mit ähnlicher Willensstärke wie bei seiner Therapie ging der Ausnahmesportler nun bei seinen Vorbereitungen auf die Tour vor. Das bekam vor allem Jan Ullrich zu spüren: Fünf Mal duellierte sich das «Wunderkind» (L'Équipe) aus Deutschland mit Armstrong, fünf Mal fuhr es mehr oder weniger deutlich hinterher. Einen Fahrer ähnlichen Formates wird es nach Einschätzung seines Managers Johan Bruyneel so schnell nicht wieder geben: «Keiner konnte sich so quälen wie er. Er hat diese Qualen sogar noch genossen, das macht ihn so einzigartig».
Wer die Konkurrenz derartig souverän dominiert, steht schnell im Verdacht, mit unerlaubten Mitteln nachzuhelfen. An Versuchen, Armstrong zur Nummer eins in einem angeblich verdorbenen Metier zu machen, hat es deshalb nie gefehlt. So deutete der Brite David Walsh in seinem 2004 erschienenem Buch «L.A. Confidential» an, dass der Amerikaner das Blutdopingmittel Erythropoietin (EPO) und andere Medikamente zur Leistungssteigerung benutze. Armstrongs Zusammenarbeit mit dem in einem Doping-Prozess verurteilten italienischen Sportmediziner Michelle Ferrari sorgte für weitere Spekulationen. Doch so sehr die Doping-Fahnder sich auch mühten, die zahlreichen Tests auch bei der diesjährigen Tour blieben allesamt negativ.
Nach dem Rückzug des Übermächtigen schöpft die Konkurrenz neuen Mut. Liebend gern würden Kronprinzen wie Ivan Basso (Italien), Alejandro Valverde (Spanien) und Damiano Cunego (Italien) bei der 93. Tour in die Fußstapfen des großen Vorgängers treten. Zudem wittert Ullrich bei aller Enttäuschung über den verlorenen letzten Zweikampf Morgenluft. Ganz Patron empfahl Armstrong seinem jahrelangen Widersacher eine ähnliche asketische Lebensweise: «Ein bisschen weniger Gewicht und ein wenig mehr Kondition: Dann könnte Ullrich noch mehr als einmal gewinnen. Er verlor die Tour immer in den ersten zehn Tagen.»