Frankfurt (dpa) - Mit Zwiespalt hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) auf den Tour-Ausstieg von ARD und ZDF reagiert. Jens Voigt, Interessenvertreter der Radprofis, hat den ARD- und ZDF-Rückzug von der Tour de France scharf kritisiert.
DOSB-Generaldirektor Michael Vesper erklärte gegenüber der Deutschen Presse Agentur dpa, die Entscheidung aus der Live-Berichterstattung auszusteigen, sei «aus der besonderen Sicht heraus, wie die diesjährige Tour-de-France-Übertragung zu Stande kam, nachvollziehbar. Und zwar deshalb, weil den deutschen TV-Anstalten versprochen worden war, dass saubere Teams an den Start gehen.»
Gleichzeitig kritisierte Vesper den Entschluss der Öffentlich-Rechtlichen. «Eine Berichterstattung muss aufklären und informieren, das kann durch einen dunklen Bildschirm nicht erfolgen. Wir gehen davon aus, dass Fernsehübertragungen diesen Aspekten Rechnung tragen.» Die positive A-Probe von Patrik Sinkewitz zeige, «dass die von uns geforderten intelligenten Kontrollen funktionieren. Und man muss auch sehen, dass T-Mobile viel im Kampf gegen Doping getan hat in den vergangenen Monaten.»
«Ich halte die Entscheidung für völlig überzogen, sie hilft keinem. Das ist ja wie früher in der DDR: Zwei Leute entscheiden gegen den Willen des Volkes, schließlich haben sich zwei Drittel der Fernseh-Zuschauer gegen den Ausstieg ausgesprochen», sagte Voigt der Deutschen Presse-Agentur dpa.
Voigt ist der Meinung, «wir Gebührenzahler» seien «ja schließlich die Arbeitgeber des Fernsehens. Es sollte doch jedem selbst überlassen bleiben, ob er die Tour sehen will oder nicht. Warum ist das Fernsehen nicht rausgegangen, als Ben Johnson bei den Olympischen Spielen positiv war?», fragte der 35-jährige Profi des dänischen CSC-Teams, der in seiner Karriere zwei Tour-Etappen (2001 und 2006) gewann und zwei Mal das Gelbe Trikot trug.
Laut Voigt hat der Fall Sinkewitz nicht direkt mit der Tour de France zu tun: «Die Kontrolle war doch am 8. Juni, einen Monat vor dem Tourstart.» Ein Team wie T-Mobile unternehme alles, um Doping im Team auszuschließen, aber es könne «auch nicht jeden einzelnen vor sich selbst schützen», sagte Voigt weiter. Seinen Ausreißversuch auf der 10. Tour-Etappe von Tallard nach Marseille, der für den in Berlin lebenden Profi mit einem fünften Platz endete, bekamen die ARD-Zuschauer wegen des vollzogenen Boykotts des Senders bereits nicht mehr mit.
WDR-Intendantin Monika Piel hat den Umgang eines Teils der Presse mit dem Thema kritisiert. Zeitungen, die zum Ausstieg aufgefordert hätten, wiesen «selbstverständlich ihre Leser darauf hin, dass sie aber weiter das Ganze bei Eurosport sehen können - ohne ein einziges Wort der Kritik», sagte Piel in einem Interview mit der «Deutschen Welle». Und diese Zeitungen fühlten sich ebenso selbstverständlich «verpflichtet, unsere Leser über dieses große sportliche Ereignis weiter auf dem Laufenden zu halten».
Der Ausstieg sei «als Paukenschlag richtig» gewesen. «Ich hoffe, dass jetzt die Sportverbände für einen sauberen Sport sorgen», sagte Piel. «Und ich hoffe auch, dass die Sportler untereinander jetzt ein anderes Verhältnis dazu bekommen und nicht die Augen davor zumachen, weil sie sehen: Ich werde mitbestraft, wenn der andere dopt.»
Allerdings gebe der Ausstieg keine generelle Linie für Doping- Fälle vor: «Wir müssen jeden Einzelfall bewerten», sagte Piel. Eine Festlegung auf einen Ausstieg für den Fall, dass ein deutscher Sportler etwa bei den Olympischen Spielen des Dopings überführt werden sollte, sei zum jetzigen Zeitpunkt «mit mir nicht zu machen», betonte Piel nach Angaben des Senders.
Die Entscheidung von ARD und ZDF hat ein äußerst kontroverses Zuschauer-Echo hervorgerufen. «Speziell von der ARD ist es pure Heuchelei als bisheriger Hofberichterstatter, Mitfinanzierer und damit Insider von Telekom/T-Mobile, jetzt plötzlich die Reißleine zu ziehen. Es ist schlichtweg scheinheilig, solches Vorgehen überhaupt zu avisieren», hieß es in einem Kommentar auf der Internetseite der ARD.
Bei Eurosport reibt man sich dagegen die Hände: Die Einschaltquoten stiegen auf das Dreifache gegenüber dem Vortag an. «Wir freuen uns natürlich, wenn die Zuschauer bei uns einschalten und mit unserer Berichterstattung zufrieden sind», sagte Sprecher Werner Starz der Deutschen Presse-Agentur dpa. Und am Nachmittag sprang plötzlich Sat.1 auf den Zug auf und schaltete sich in die Live-Berichterstattung ein. «Ich bin sehr froh, dass wir so kurzfristig eines der weltgrößten Sportereignisse zeigen können. Alle, die dem Radsport verbunden sind, haben eine gute Berichterstattung verdient», sagte Sat.1-Chef Matthias Alberti.
Weniger froh hatten sich zuvor Zuschauer von ARD und ZDF geäußert. Ich freue mich schon auf die stundenlangen Live-Übertragungen durch die 'Öffentlich-gerechtlichen' folgender, hoffentlich dopingfreier Sportarten wie Ballonfahren, Schach, Minigolf, Bumerang werfen, Sandburgenbauen u.ä.», schrieb ein User in dem Diskussions-Forum. Laut ARD klingelten die Telefone in der Zuschauerredaktion am Mittwochnachmittag ununterbrochen, zahlreiche Emails gingen ein.
Auch die Online-Umfragen ergaben kein eindeutiges Bild. «Doping bei der Tour de France: ZDF und ARD steigen vorläufig aus der Live-Berichterstattung aus. Finden Sie das richtig?», fragten die beiden öffentlich-rechtlichen Sender auf ihrer Homepage. Im ZDF war das Ergebnis am frühen Nachmittag 50:50, bei der ARD hielten nur rund 34 Prozent der Abstimmenden den Ausstieg für richtig, knapp 66 Prozent sagten «Nein». «Eine Frage spaltet die Nation», hieß es bei der ARD.
Es gab allerdings auch Meinungsäußerungen wie diese: «Liebe ARD/ZDF, vielen Dank für den Stopp der Übertragungen. So bleibt wenigstens beim TV noch Glaubwürdigkeit und Konsequenz stehen. Sie sollten allerdings bei einer solchen Konsequenz im Radport auch keine Leichtathletik mehr zeigen. Denn diese ist genau so sauber wie eine Zeche im Ruhrpott.» Ein anderer schrieb: «Ich finde es klasse, dass ARD/ZDF ausgestiegen sind! Es handelt sich beim Radsport nicht mehr um Leistungssport! Sondern viel mehr um Betrug am Zuschauer und an einigen sauberen Kollegen (Es soll sie ja geben)! Ich finde es sehr traurig, wie eine interessante Sportart systematisch zerstört wird.»
Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) bezeichnete die Entscheidung der Sender einen «schweren Rückschlag». Der Boykott gehe auf das Fehlverhalten eines einzelnen Fahrers zurück und habe mit der Frankreich-Rundfahrt nichts zu tun, sagte BDR-Vizepräsident Harald Pfab in Vertretung für den in China weilenden Präsidenten Rudolf Scharping.
Der Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses, Peter Danckert (SPD), fand den Rückzug richtig und konsequent. Damit werde eine Bewegung in Gang gebracht, die sich auch international auswirken werde, sagte Danckert im Deutschlandfunk. Viele Sportfunktionäre hätten noch nicht begriffen, dass sich das Bewusstsein der Öffentlichkeit verändert habe. Auch die öffentlichen Mittel für den Leistungssport seien in Frage gestellt.
Die ehemalige BDR-Präsidentin Sylvia Schenk ging mit dem T-Mobile- Team, das sich mit einem offensiven Antidoping-Programm profiliert hatte, scharf ins Gericht. «Das sind lauter schöne Worte, die sie machen, aber mit all ihren Ankündigungen haben sie es nicht geschafft, ihren Laden sauber zu halten. T-Mobile macht sich ja damit nur noch lächerlich», sagte Schenk der Münchner «Abendzeitung». Zweifel äußerte sie in der «tz» an Andreas Klöden. «Bei Klöden habe ich auf Grund seiner abwiegelnden Haltung - und weil er Ullrich so lang die Stange gehalten hat - ein sehr ungutes Gefühl». Auch bei Jung-Profi Linus Gerdemann habe sie «kein tolles» Gefühl, sagte Schenk.
«Der Bildschirm in Deutschland bleibt schwarz», titelte die «L'Équipe», die ausschließlich kritische Kommentare von Verantwortlichen und Fahrern zum Fernseh-Ausstieg der deutschen Sender veröffentlichte. Auch der Präsident der Tour-Organisation ASO, Patrice Clerc, hatte die ARD und ZDF kritisiert: «Damit wird die Tour bestraft, aber wir sind die Falschen.»
Viele Radsportanhänger schalteten wie erwartet zum TV-Sender Eurosport um. Dessen Einschaltquoten stiegen auf das Dreifache gegenüber dem Vortag an. Nach Angaben des Senders verfolgten im Schnitt 931 000 Zuschauer die Original-Übertragung von der 10. Etappe von Tallard nach Marseille. Das entsprach einem Marktanteil von 8,5 Prozent. Die nach dem abrupten TV-Stopp von den beiden deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern ausgestrahlten Sondersendungen zu dem vorläufigen Rückzug fanden allerdings ein noch größeres Interesse unter den TV-Zuschauern.
Das ZDF hat Meldungen dementiert, wonach sich der Sender Regressansprüche gegenüber dem Organisator der Tour de France vorbehalten werde. «Wir gehen nicht in Gespräche mit Regressansprüchen, sondern wir werden unter anderem über die Zukunft des Radsports im Fernsehen sprechen», sagte ZDF-Sprecher Alexander Stock der Deutschen Presse-Agentur dpa.
Die «Berliner Zeitung» hatte ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender mit den Worten zitiert: «Wir werden das Gespräch mit dem Veranstalter ASO suchen. Wir haben die Rechte an einer sauberen Sportveranstaltung erworben.» Die Aussage wurde als Ankündigung interpretiert, möglicherweise Regressansprüche zu stelen. Nach Bekanntwerden der positiven A-Probe von T-Mobile-Profi Patrik Sinkewitz hatten ARD und ZDF ihre Tour-Berichterstattung vorläufig eingestellt. Am 19. Juli stieg der private Fernsehsender Sat.1 in die Live-Berichterstattung ein.