Berlin (dpa) - Nach der Fahr-Erlaubnis für das von Dopingfällen erschütterte Astana-Team steht der Radsport-Weltverband UCI heftig in der Kritik. «Wie lächerlich kann dieser Sport sein. Genug ist genug», twitterte der Brite Peter Kenaugh aus dem Sky-Team von Ex-Toursieger Chris Froome.
«Das zarte Pflänzchen, dass sich im Radsport doch vielleicht etwas zum Positiven ändern kann, wurde zertrampelt. Die UCI scheute offensichtlich das Risiko einer Prozess-Lawine», vermutete der dopinggeständige Ex-Profi Jörg Jaksche in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Zuvor hatte die UCI dem durch zahlreiche Dopingfälle und weitere handfeste Vorwürfe schwer in Bedrängnis geratenen Astana-Team im zweiten Anlauf doch die Lizenz für die WorldTour 2015 erteilt. Die umstrittene Mannschaft aus Kasachstan wird seit der Gründung 2006 von dem Ex-Doper Alexander Winokurow geführt und seit dieser Zeit von einschlägigen Schlagzeilen begleitet.
Auf seiner Homepage teilte das Team voller Genugtuung mit: «Astana ist stolz und glücklich bekanntzugeben, dass wir die Lizenz erhalten haben. Ein Dankeschön an unsere Fahrer, die Betreuer, die Familien, Sponsoren und Freunde». Darunter prangt ein Foto des bestbezahlten Angestellten Winokurows: Der aktuelle Tour-Sieger Vincenzo Nibali sticht im Gelben Trikot aus dem Fahrerfeld hervor.
Kenaughs Landsmann Brian Cookson, der 2013 das UCI-Spitzenamt als Aufräumer angetreten hatte, zeigte sich in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP enttäuscht über die Reaktion: «Es gibt nichts, auf das man stolz sein muss und nichts, womit man zufrieden sein muss.» Cookson erweise sich als «zahnloser Tiger», kritisierte Jaksche. Der UCI-Boss verwies zwar darauf, dass die Lizenz auf «Bewährung» erteilt worden sei. Zum einen stehe eine Untersuchung einer unabhängigen Kommission der Universität Lausanne zur angeblichen Doping-Kultur bei Astana an.
Außerdem warnte Cookson, dass die Lizenz doch noch entzogen werden könnte, wenn die Unterlagen der Staatsanwaltschaft Padua - wie von italienischen Zeitungen gemeldet - wirklich belastendes Material enthalten gegen Astana und Winokurow sollte.
Natürlich würde zudem ein weiterer Dopingfall das Aus des Nibali-Teams bedeuten. Als seien fünf in den vergangenen drei Monaten bekanntgewordene Doping-Verfehlungen aus dem WorldTour- und dem Nachwuchsteam nicht genug. Jaksche wertete die Cookson-Warnung nach der Lizenzerteilung als eine Art Beruhigungspille für die Kritiker: «Die Sache ist durch und die Auflagen sind wohl unter Beschwichtigung abzuhaken.»
«Der Radsport hat keine Chance - Lasst uns mit diesem Schmierentheater aufhören», twitterte Scott Mercier, der zusammen mit Lance Armstrong in einem Team fuhr und als einer der Hauptbelastungszeugen gegen den ehemaligen Seriensieger aufgetreten war. Mercier verglich die UCI mit dem Internationalen Verband der Catcher, mit der Einschränkung, «dass die nicht für sich beanspruchen, sauber zu sein».
Im Fall Astana stand die UCI auf dem Prüfstand, die neue Härte im Anti-Doping-Kampf unter Beweis stellen. Sie scheiterte. Die fünf Dopingfälle, die belastete Vergangenheit des Team-Managers Winokurow und dessen Umgang mit den Themen Doping und Bestechung konnte dem Team nichts anhaben.
Auch die Ermittlungs-Ergebnisse aus Padua, die Verbindungen zwischen Astana und dem auf Lebenszeit wegen seiner Doping-Praktiken gesperrten Mediziner Michel Ferrari aufzeigten, konnten die UCI-Lizenz-Kommission bisher nicht zu einem anderen Votum bewegen. Nach Angaben der «Gazzetta dello Sport» soll es Fotos aus dem Vorjahr geben, auf denen Winokurow und Ferrari in Montecatini Terme im Astana-Trainingslager zu sehen sein sollen.
Die aktuellen Astana-Profis Michele Scarponi und Borut Bozic sollen demnach Ferrari-Kunden sein. Jaksche findet auch «die Chance groß», dass Nibali ein solcher sein könnte, obwohl der Name des Toursiegers in den 550 Seiten Ermittlungs-Akten nicht auftauchen soll. Die Polizei ermittelt in der Affäre Ferrari gegen eine kriminelle Vereinigung, die in illegalen Doping-Geschäften 30 Milionen Euro umgesetzt haben soll.
Nibali, der sich Ende 2012 trotz Winokurows Vorgeschichte als Blutdoper für Astana entschieden hatte, ist zumindest zunächst aus einer äußerst unbequemen Zwickmühle befreit. Bei der Lizenz-Verweigerung und der Zurückstufung in die ProContinental-Klasse wäre er bei großen Rennen auf Wildcards der Veranstalter angewiesen gewesen - oder hätte versuchen müssen, kurzzeitig das Team zu wechseln. Bei einem Jahresgehalt von geschätzt fünf Millionen Euro wäre das wohl nicht so leicht gewesen.