Berlin (dpa) - Linus Gerdemann ist der «Saubermann» des krisengeschüttelten deutschen Radsports. Mit dem hohen Anspruch des Hoffnungsträgers, der zusätzlich zu den sportlichen Erwartungen auf dem jungen Mann lastet, tritt er ab 2009 als neuer Kapitän für den einzigen noch verblieben nationalen ProTour-Rennstall Milram in die Pedale. «Es gibt sicher leichtere Rahmenbedingungen, als sie zur Zeit der Radsport bietet. Aber ich werde täglich daran arbeiten, für Glaubwürdigkeit zu sorgen. Es ist an der Zeit, dass jeder Radsportler diese Verantwortung übernimmt. Ich habe damit keine Probleme», sagte der 26-jährige Wahl-Schweizer aus Münster der Deutschen Presse-Agentur dpa, bevor ihn sein Team in Dortmund stolz präsentierte.
Gerdemann ist offen für Anregungen zur Steigerung der Akzeptanz einer schwer angeschlagenen Branche. «Kritiker sollen jetzt sagen, was wir, was ich noch tun kann, um transparent zu sein. Ich bin für sinnvolle Vorschläge offen und werde sie öffentlich zur Diskussion stellen», sagte Gerdemann, der 2007 nach seinem Etappensieg am französischen Nationalfeiertag einen Tag auch das Gelbe Trikot bei der Tour de France trug. Danach ließ der Dopingfall Patrik Sinkewitz die aufkommende Begeisterung in Deutschland wieder auf Null fallen. Gerdemann: «Es wird immer beratungsresistente Kollegen geben - in jedem Sport.»
«Für die Neuausrichtung von Milram ist ein Gerdemann gut, weil er nicht vorbelastet ist», sagte Ex-Profi Rolf Aldag, der den smarten Allrounder vom Columbia-Team nach monatelangem Transfergerangel ziehen lassen musste, obwohl Gerdemann noch einen Vertrag bis Ende 2009 in dem US-Team hatte. Den vorzeitigen Weggang ließ sich Columbia-Chef Bob Stapleton natürlich bezahlen. Von einer sechsstelligen Ablösesumme ist die Rede. Dazu sagte Gerdemann, der von Manager Marc Kosicke betreut wird, am Donnerstag nichts.
Der Vorzeige-Athlet blickt auf eine turbulente Saison zurück. Ende März war der in Kreuzlingen angesiedelte Radprofi bei der italienischen Fernfahrt Tirreno-Adriatico beim Zeitfahren schwer gestürzt und fiel wegen eines Beinbruchs mit Bänderanriss im Knie lange aus. Anschließend kämpfte sich der frühere T-Mobile-Fahrer, der bei Bjarne Riis seine ersten Schritte ins Profi-Business unternommen hatte und dabei auch kurz Kontakt mit dem umstrittenen Mediziner Luigi Cecchini hatte, mühsam zurück, ehe er Anfang September die Deutschland-Tour für sich entschied. Die D-Tour ist bereits Vergangenheit - nach dem TV-Ausstieg aus der Tour-Berichterstattung wurde sie für 2009 abgesagt.
Nach dem größten Erfolg seiner Karriere hatte Gerdemann im September versichert, sein «Saisonziel» sauber erreicht zu haben: «Von mir aus können auch Proben 50 Jahren eingefroren werden, dann sollen sie die in 50 Jahren aufmachen.» Seine große Herausforderung 2009 ist die Tour, bei der er den Fokus auf die Gesamtwertung («Einen Etappensieg habe ich ja schon») legen will.
Linus Gerdemann