Pau (dpa) - Mit Trumpf-Ass Bernhard Kohl will das Gerolsteiner-Team im Sponsoren-Poker doch noch den entscheidenden Stich machen. Der überraschende Höhenflug des sympathischen Österreichers veredelte die werbewirksame erste Tour-Hälfte des ums Überleben ringenden Radrennstalls.
Der Manager des Teams aus der Eifel, Hans-Michael Holczer, wagte erste Träume vom Podium in Paris. «Gestern gab es sogar Momente, in denen ich mir überlegt habe, dass Bernhard ins Gelbe Trikot fahren könnte», gab Holczer am ersten Ruhetag der 95. Tour de France zu, ehe er im Garten des Team-Quartiers in Pau bescheiden ergänzte: «Top Ten wäre ein Traum.» Am Vortag hatte Kohl bei der ersten Ankunft im Hochgebirge geglänzt und sich in Hautacam auf den vierten Rang des Gesamtklassements vorgearbeitet.
Der gebürtige Wiener liegt nur 46 Sekunden hinter dem führenden Top-Favoriten Cadel Evans aus Australien und ist in seiner Heimat binnen kürzester Zeit zum Rad-Idol aufgestiegen. «Ich habe 170 Mails, SMS und Anrufe erhalten. Die Reaktionen sind schon gewaltig», sagte Kohl, der am Dienstag aber (noch) nicht an einen Podestplatz denken wollte: «Mit den Top Drei brauche ich nicht zu spekulieren. Das ist noch viel zu früh.»
Die Leistungsexplosion des 26-Jährigen ist das i-Tüpfelchen auf eine formidable Tour der Eifel-Equipe, die den nationalen Rivalen Milram klar in den Schatten gestellt hat. Erst schnappte sich Stefan Schumacher mit seinem Zeitfahr-Coup von Cholet als erster Profi der Gerolsteiner-Geschichte das «Maillot Jaune», dann avancierte Sebastian Lang zum Kletter-Spezialisten und verpasste auf der ersten Pyrenäen-Etappe das Bergtrikot nur knapp. «Wir haben es fünf Jahre versucht, im sechsten können wir es. Das ist im Prinzip das komplette Soll für ein Jahr», bilanzierte Holczer, der dank der «weltweiten» TV-Bilder neue Hoffnung in der schier unendlichen Sponsoren- Geschichte schöpfte: «Das ist gerade das, was wir brauchen.» Während der Schwabe fröhlich über «die beste Stimmung» plauderte, wollte er in der Geldgeberfrage keine Wasserstandsmeldungen abgeben.
Sein Kapitän Kohl zeigt jedenfalls Biss - auch um sich nach dem bereits bekundeten Interesse anderer Teams für einen «neuen Vertrag zu empfehlen». Der Ex-T-Mobile-Profi, der seit 2007 für Gerolsteiner fährt, ist im Juni alle sechs Bergetappen alleine abgefahren. Nun profitiert er von der Streckenkenntnis und scheint im Hochgebirge stets an der richtigen Stelle zu attackieren. «Als ich es abends im Fernsehen gesehen habe, habe ich erst realisiert, was geschehen ist», sagte Kohl. Nach seiner starken Vorstellung am Berg hatte er mit der Urinprobe (Holczer: «Er konnte nicht gleich») wesentlich mehr Schwierigkeiten und musste am späten Montagabend per Helikopter vom Gipfel nach Pau geflogen werden.
Für seinen etwas überraschenden Sprung in die absolute Weltspitze hat Kohl, der seinen Co-Kapitän Markus Fothen zum zweiten Mann degradierte, eine einfache Erklärung. «Es gibt nicht mehr ein, zwei Leute, die über allen stehen. Es ist alles relativ kompakt», meinte der 26-Jährige. Als zweiter Österreicher nach Georg Totschnig könnte Kohl in den Bergen wieder einen Tour-Sieg einfahren. Zudem ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Kärntner am 27. Juli in Paris den Amerikaner Levi Leipheimer, der 2006 Sechster wurde, als besten Klassements-Fahrer der Gerolsteiner-Geschichte ablöst. «Das ist drin. Das kann er erreichen», sagte sein Sportlicher Leiter Christian Henn.