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Jan Ullrich bremst Euphorie
22.04.2003 13:53
Jan Ullrich bremst Euphorie

Berlin (dpa) - Jan Ullrich ist selber schuld. «Ich freue mich riesig über das Ergebnis meines Deutschland-Comebacks. Aber vielleicht wäre ich doch lieber im Feld ins Ziel gefahren. Jetzt rechnet doch ganz Deutschland wieder mit meinem Tour-Sieg», sagte der 29-jährige Olympiasieger nach seiner glorreichen Rückkehr in Köln und trat damit auf die Euphorie-Bremse.

«Dem Mann ist alles zuzutrauen», schwärmte Hans-Michael Holczer vom konkurrierenden Gerolsteiner-Team nach Ullrichs Solo-Sieg mit 1:52 Minuten Vorsprung und war nicht nur vom Timing des Zurückgekommenen überrascht: «Der Ort, das Wetter, eine Million Zuschauer: Bei diesem Comeback stimmte für Ullrich alles».

Der 29-jährige Tour-Sieger von 1997 und sein Betreuer Rudy Pevenage wollen jetzt ganz vernünftig und auf dem Teppich bleiben. Zu frisch ist noch die Erinnerung an den tiefen Fall vor Jahresfrist mit Knie-Operationen, der aktenkundig gewordenen Alkoholfahrt im Porsche und dem positiven Doping-Befund. Der Weg zurück nach ganz oben ist noch weit, zumal Ullrich im Coast-Team zuletzt wegen der leidigen Lizenzfrage auch mit ihm bisher völlig unbekannten Schwierigkeiten kämpfen musste. Aber sportlich zeigt seine Kurve nach 14-monatiger Zwangspause eindeutig aufwärts, auch wenn Köln nicht überbewertet werden sollte.

«Ich habe immer davon geträumt, mit Jan im Mai ein Mal mit der Form soweit zu sein, dass wir die letzten Wochen vor der Tour ohne Stress arbeiten können. Wenn es jetzt ohne Krankheiten so weiter geht, könnte das Wirklichkeit werden. Er ist motiviert, hat gut trainiert, sein Gewicht stimmt, ihm fehlt noch ein bisschen Kraft. Aber, was er jetzt nicht braucht, ist Erwartungs-Druck, der nicht gerechtfertigt ist. Wir fahren als Outsider zur Tour. Daran ändert auch ein solcher Sieg nichts. Schon die nächsten Aufgaben - Fléche Wallonne, Lüttich - Bastogne - Lüttich und Henninger Turm - sind ganz andere Kaliber als das Rennen in Köln», gab Pevenage zu bedenken.

«In der Verfolgergruppe hinter Ullrich waren fünf Telekom-Fahrer. Die hatten sich wahrscheinlich verkalkuliert, weil sie dachten, ihn noch rechtzeitig zu stellen. Aber Jan ist natürlich auch ein Höllentempo vorne gefahren. Das hat mir Peter Wrolich erzählt, der auch in der Gruppe fuhr», sagte Holczer, der sich zusammen mit dem österreichischen Vorjahressieger über Rang drei nicht richtig freuen konnte. «Es gab niemanden, der Jan da irgendetwas schenken wollte», meinte Olaf Ludwig, Telekom-Sprecher und in Personalunion auch einer der Teamchefs der Bonner, zum eindrucksvollen Erfolg seines ehemaligen Mannschafts-Kapitäns.

«Als Jan etwa 50 Kilometer vor dem Ziel attackierte, waren wir wohl schon ein bisschen müde. Telekom hatte vorher schon viel gearbeitet. Zum Schluss warteten wir in der Verfolgergruppe noch auf Hiekmann. Der hatte aber Krämpfe. Alle haben nur auf uns gewartet, dass wir das Loch zu Jan vorne schließen. Aber er ist gefahren wie ein Moped. Das war eine Demonstration der Stärke», versuchte Ludwig den Ullrich-Sieg in Einzelzeitfahr-Manier nach Sydney-Muster zu erklären.

Was Holczer nur andeutete und Pevenage nicht hören will, sprach Ludwig aus: «Wenn es bei Jan weiter so optimal läuft, ist er bei der Tour ein ernsthafter Gegner von Armstrong. Bei ihm ging es doch nach seinem Niedergang nur darum, ob er wieder zu einer professionellen Einstellung finden kann. Dann ist bei ihm jeder Zeit alles möglich. Das war bei seiner Klasse doch allen klar.»


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