Berlin/Como (dpa) - Seine enormen Qualitäten lassen sich nicht an der Länge seiner Erfolgsliste ablesen. Mit 37 Jahren ist die «Höllentour» für Rolf Aldag vorbei - mit ihm steigt die gute Seele des deutschen Radsports vom Rad.
Beim finalen ProTour-Rennen in der Lombardei blickt er seiner letzten sportliche Notierung entgegen. Danach wird Aldag nur noch bei Sechstagerennen in Dortmund, Bremen und vielleicht in Berlin zu sehen sein.
Seit 15 Jahren hat der über 1,90 Meter große Westfale in der Profi-Tretmühle den Rücken meist für andere krummgemacht. Für Jan Ullrich war Aldag Wegbereiter des einzigartigen Tour-Erfolges 1997. Für Erik Zabel, mit dem er in Pepe Danquardts prämiertem Film «Höllentour» mit bekannt trockenem Humor den launigen Hauptpart übernahm, war Aldag oft letzter Mann im Sturm der Massensprints.
Besondere Leidensfähigkeit und unbedingte Loyalität passten bestens ins Berufsbild. 2002 fuhr Aldag die Tour de France mit einem Rippenbruch, 2003 mit einer ebenso schmerzhaften Rippenprellung zu Ende. 1998 saß er nach einem schweren Trainingsunfall schon wenige Wochen später wieder auf dem Rad und wagte sich in die Frankreich- Rundfahrt mit einem mehrfach genagelten Oberschenkel-Knochen. Er half Zabel, zum dritten Mal ins Grüne Trikot zu fahren. «Nur beim Aufstehen morgens aus dem Bett muss ich mich vorsehen», nannte er damals die bemerkenswertesten Beeinträchtigungen.
Im Alter von 12 hatte sich Aldag nahe seinem Heimatort Ahlen beim Rennen «Rund um die Zechenkolonie» zum ersten Mal auf ein Rennrad geschwungen. Ein Versuch als Judoka - «unser Schornsteinfeger hatte mir einen alten Judo-Anzug geschenkt und mich im Verein angemeldet» - davor war nicht von Erfolg gekrönt. Auf dem Rad lief es viel besser.
Obwohl als Helfer hoch geschätzt und gut bezahlt, sprangen für den Hobby-Eishockeyspieler auch bemerkenswerte Einzelerfolge heraus: Etappensiege bei der Tour de Suisse, Deutschland-Tour und Tour de Limousin, deutsche Meisterschaft 2000, Siege bei der Bayern-Rundfahrt («Da fuhren Zabel und Ullrich für mich») und auf Sechstage-Bahnen. Bei der Tour de France 2003 trug er für einen Tag das Bergtrikot, was ihm angesichts so prominenter Vorgänger wie etwa Marco Pantani «fast peinlich» war.
Sowohl bei T-Mobile als auch in Zabels neuem Team Milram wäre Aldag als Aktiver auch über die 37 hinaus willkommen gewesen. Er hatte vier Angebote. Aber er entschied sich für einen neuen Job in der Kommunikations-Abteilung seines Arbeitgebers: «Das war wohlüberlegt. Von Milram hatte ich ein so gut dotiertes Angebot wie noch nie in meiner Laufbahn. Aber jetzt ist es an der Zeit, etwas anderes zu machen.» Aldag will auch als schlagfertiger Co-Kommentator bei der Tour dabei bleiben: «Beim ZDF werde ich weiter arbeiten.»
Angst vor Wehmut hat er noch nicht: «Am Samstag ist doch für die meisten Schluss. Aber im Februar, März, wenn es für die anderen wieder losgeht, tut es vielleicht ein bisschen weh.» Für Ablenkung ist aber schon gesorgt: Im Januar kommt sein drittes Kind zur Welt.