St. Etienne (dpa) - Die Niederlage von L'Alpe d'Huez zauberte ein breites Grinsen auf sein Gesicht. Der Verlierer Cadel Evans hat beste Chancen, in Paris als strahlender Sieger den Tour-Gipfel zu erreichen.
Er gilt nicht als Ausbund an Temperament und sein Fahrstil ist ähnlich unspektakulär wie sein Auftritt - abgesehen vielleicht davon, dass er sich vom früheren Armstrong- und Winokurow- Bodyguard bewachen lässt.
Der Erfolg gibt dem manchmal etwas scheu wirkenden Australier aber bisher recht und scheint in die neuen Radsport-Zeiten zu passen, in denen heftige Ausschläge der Formkurven nach unten oder oben bei den Spitzenfahrern kaum noch zu registrieren sind. «Cadel hat der Tour ein menschliches Antlitz gegeben», urteilte sein Sportchef Roberto Damiani vor dem wahrscheinlich alles entscheidenden 53-km-Zeitfahren von Cérilly nach Saint-Amand-Montrond.
«Auf dem Weg nach oben», und damit meinte Christian Prudhomme vor dem Start zur 18. Etappe in Bourg d'Oisans einen saubereren Radsport, ist der Tourchef nicht an «spektakulären Auftritten» interessiert. Die hatten in der Vergangenheit - noch im Vorjahr bei den merkwürdigen Demonstrationen der Stärke von Alberto Contador und Michael Rasmussen im Hochgebirge - oft als besondere Würze gegolten.
«Im Vorjahr ging ich mit zwei Minuten Rückstand hinter Contador ins abschließende Zeitfahren. Jetzt liege ich wieder hinter einem Spanier - mit 1:34 Minuten», sagte Evans, nachdem Carlos Sastre die Königsetappe in L'Alpe d'Huez gewonnen und sich das Gelbe Trikot übergestreift hatte. 2007 fuhr der in der Schweiz lebende Australier in ähnlicher Situation auf 23 Sekunden an den umstrittenen Toursieger Contador heran und wurde in Paris Zweiter. In diesem Jahr ist ihm mindestens eine ebenso starke Aufholjagd zuzutrauen. Damit steht Evans unmittelbar vor dem ersten Toursieg eines Australiers in der 105-jährigen Geschichte der Frankreich-Rundfahrt.
Der Weg des zweifachen Mountainbike-Weltcup-Siegers in die Elite der Straßen-Profis war steinig. Nachdem der 31-Jährige 2002 überraschend beim Giro d'Italia kurz ins Rosa Trikot gefahren war, hatte er 2003 seinen Ruf als Bruchpilot weg: Bei Stürzen brach er sich in einer Saison dreimal das Schlüsselbein. Mit dem Argument, sein Fahrstil bedeute ein gewisses Sicherheitsrisiko, nahm ihn sein damaliger Telekom-Sportchef Walter Godefroot 2004 und 2005 nicht mit zur Tour de France. Stattdessen fuhr er die Sachsen-Tour. Die Wandlung vom angeblich unsicheren Kantonisten zum mutmaßlichen Toursieger ist frappierend.
Seine zweijährige Zugehörigkeit zum Telekom-Team und seine Mitgliedschaft in der nicht unbedingt besser beleumundeten Vorgänger- Mannschaft Quick-Step bilden die einzige Verbindung zum Thema Doping. Mit einem positiven Befund hat der Australier, der mit seiner hohen Stimme auch in einem Knabenchor kaum auffallen würde, noch nie Schlagzeilen gemacht. Trotzdem ist fraglich, ob er mit seiner gänzlich risikofreien Fahrweise, stets orientiert an den Hinterrädern der Konkurrenz, wirklich der richtige Werbeträger für sein belgisches Team ist. Das macht nämlich auch Reklame für das Anti-Schnarch-Mittel «Silence».