Hamburg (dpa) - Niklas Michelau kann die Hänseleien nicht mehr hören. «Doper» ist noch das harmloseste, was dem 18 Jahre alten Radfahrer an Beschimpfungen entgegen geschleudert wird, wenn er mit seinem Rennrad unterwegs ist.
«Einige Fahrer haben gerade Lenker an ihre Rennräder gebaut, damit sie nicht mehr als Rennfahrer wahrgenommen werden», berichtet Gert Hillringhaus. Seit 1999 ist er Jugendwart des Radsportteams Lübeck, aus dem das hoffnungsvolle Talent Michelau, jetzt für das Radteam Hamburg am Start, hervorgegangen ist. Ob ihm viele folgen werden, ist jedoch höchst ungewiss.
44 Lizenz-Sportler vom Schüler bis zum A-Elitefahrer waren vor drei Jahren noch für seinen Verein gemeldet. Davon sind ganze acht übriggeblieben. «Es gibt einfach keine Idole mehr», findet Hillringhaus. Mit den Stars, egal ob sie nun Ullrich, Zabel oder Armstrong heißen, verbinden Eltern und Kinder nicht mehr sportliche Höchstleistungen sondern Doping und Lügereien. Die Beschimpfungen, mit denen sie täglich konfrontiert werden, geben vielen jungen Leuten den Rest: Sie kehren dem Radsport den Rücken.
Das Problem beschränkt sich laut Hillringhaus nicht auf Lübeck. «Teile Schleswig-Holsteins, Bremen oder das Saarland verzeichnen kaum noch Nachwuchs im Radrennsport, auch in den anderen Ländern gehen die Zahlen an der Basis zurück», sagte der 48-Jährige, der auch Jugendsportleiter des Verbandes in Schleswig-Holstein ist. Allerdings widerspricht ihm da der Bund Deutscher Radfahrer. «Der Tiefstand war 2004 erreicht mit 20.000 Fahrern, 2007 waren es 22.600 und im vergangenen Jahr gab es nur einen Rückgang von einem Prozent», sagt Toni Kirsch, Vorsitzender der Radsportjugend. Hillringhaus überzeugt das nicht: «Das liegt an Trendsportarten wie BMX, oder Mountainbike.»
Die fehlende Motivation der Fahrer ist nicht die einzige Schwierigkeit im Nachwuchs-Bereich. Viele Sponsoren haben am Radsport kein Interesse mehr und bringen die Teams in finanzielle Schwierigkeiten. «Ich habe unzählige Firmen angeschrieben. Die Antworten sind immer die gleichen. Der Radsport bringt momentan nur negative Schlagzeilen, da lassen alle die Finger von», resümiert Hillringhaus. Dabei handelt es sich beim Lübecker Radteam durchaus um ein unterstützenswertes Projekt. Vor einem Jahr wurde es mit dem Anti-Doping Sonderpreis des «Grünen Bandes» ausgezeichnet.
«Richtig handeln durch verstehen» lautet die Maxime. Sportler, die sich auskennen in Dingen wie der Dosierung von Regeneration und Belastung, Herzfrequenzen und Ernährung seien, davon ist Hillringhaus überzeugt, nicht so leicht empfänglich für leistungssteigernde Mittel. Wer hingegen früh falsches oder zu geringes Training ersetzen wolle, der erkenne irgendwann die Grenzen nicht mehr.
Der oft propagierte Neuanfang im Radsport ist nicht nur in Lübeck schwierig. 2006 startete der Mainzer Anwalt Siegfried Fröhlich das Continental-Team FC Rheinland-Pfalz/Saar Mainz, das mit einem strikten Anti-Doping Programm und dem Slogan «Echte Kerle dopen nicht» auf den Trikots einige Aufmerksamkeit erzielen konnte. Doch auch hierblieben die Sponsoren weg, und mittlerweile haben die meisten Fahrer das Team verlassen. «Für den Radsport ist es nicht mehr fünf vor zwölf. Es ist fünf vor vier und gleich Feierabend», sagt Hillringhaus.
Resignieren will er aber dennoch nicht. Hoffnung macht ihm, dass auch der BDR inzwischen verstärkt auf Prävention setzt. Mit Strafen kommen wir nicht weiter, das hat sich gezeigt. Deswegen ist Doping-Vorbeugung jetzt fester Bestandteil der Trainerausbildung, bestätigt Jugendvorstand Kirsch.