Stuttgart (rad-net/dpa) - Mit 33 zum wohl größten Erfolg ihrer Karriere: Schon bevor Hanka Kupfernagel nach ihrem weltmeisterlichen Zeitfahren von Stuttgart das Regenbogen-Trikot in Empfang nehmen durfte, übermannten sie ihre Gefühle. Heulend vor Freude und in goldenen Schuhen feierte sie anschließend einen perfekten Auftakt-Tag für die Gastgeber der Rad-Weltmeisterschaften in Stuttgart.
Die 33-Jährige setzte sich in 34:43 Minuten vor der US-Amerikanerin Kristin Armstrong (23,47 Sekunden zurück) und der Österreicherin Christiane Söder (plus 41,53) durch. «Ich bin überglücklich. Ich kann es gar nicht realisieren. Ich habe Angst, dass mich jemand aus dem Traum aufweckt», sagte Kupfernagel. «Im Ziel wusste ich keinen Abschnitt, wo ich hätte schneller fahren können, es war also ein gutes Rennen. Viel schlimmer als das Rennen selber war das Warten danach», so Kupfernagel, die bereits im ersten Startblock auf die Strecke musste.
Auf dem 25,1 Kilometer langen Kurs in Stuttgart schockte die Thüringerin mit ihrer Bestzeit früh die Konkurrenz - musste aber anschließend zwei Stunden lang um ihren ersten WM-Titel auf der Straße bangen: «Ich bin zum ersten Mal nach einem Rennen vom Rad gefallen. Die letzten 500 Meter konnte ich nicht mehr denken», so die Silbermedaillengewinnerin der Olympischen Spiele von Sydney.
Als die dreifache Cross-Weltmeisterin aus Denzlingen noch zitterte, ob ihre
Zeit für den Triumph vor der spärlichen Heimkulisse reichen würde, war ihr
Trainer und Lebenspartner Mike Kluge schon zuversichtlich: «Sie ist super
gefahren. Normalerweise müsste sie eine Medaille gewinnen.» Erst als
Schluss-Starterin Armstrong bei der letzten Zwischenzeit deutlich hinter ihr
lag, glaubte auch Kupfernagel an den Coup und verdrückte erste
Freudentränen.
Doch während des Rennens war auch ihr Trainer weniger entspannt, als
Kupfernagel in einigen Kurven die Ideallinie verlor und der Funkkontakt
abbrach. «Ich konnte ihr keine Anweisungen geben. Da bin ich kurz
durchgedreht», sagte Kluge einen Tag nach seinem 45. Geburtstag. «Etwas
Schöneres hätte ich ihm nicht schenken können. Wir werden mit einem Glas
Sekt anstoßen oder vielleicht auch mit etwas mehr», sagte die
freudestrahlende Siegerin.
Zuvor hatte Kluge ihr ein besonderes Präsent überreicht: Aus Italien
besorgte er ihr die goldenen Treter, in denen Kupfernagel mit beachtlichen
43,43 Kilometern pro Stunde dem größten Erfolg ihrer langen Karriere
entgegenfuhr. «Ich habe schöne Schuhe ausgesucht und gedacht, dass da ein paar Medaillen rausspringen», sagte Kluge, der Kupfernagel auch im
Straßenrennen viel zutraut. Kupfernagel will sich dagegen ganz dem Team unterordnen. «Wir werden für die Stärkste im Team fahren. Und das muss nicht unbedingt ich sein. Es gibt da mit Judith Arndt und Trixi Worrack zum Beispiel zwei, die hätten auch heute gut dabei sein können», so Kupfernagel, die seit mehr als einem Jahrzehnt zur Radsport-Weltklasse gehört und nationale Titel sammelte, wie keine Athletin vor ihr.
Lange begleitet von ihrem damaligen Ehemann Thorsten Wittig, von dem sie sich vor fünf Jahren getrennt hat, gehört sie zu den prägenden Sportlerinnen des deutschen Radsports. Nach der Trennung zunächst auf sich allein gestellt und in ein tiefes Loch gefallen, musste sie erst zu sich selber zurückfinden, um damit auch neue alte Leistungsstärke zu gewinnen.