Wien (dpa) - Der österreichische Spitzensport ist nach Doping-Geständnissen des Radprofis Bernhard Kohl und der Triathletin Lisa Hütthaler sowie Festnahmen von Hintermännern in schwere Turbulenzen geraten.
Im Zuge der Aussagen von Kohl wurde sein von ihm der Weitergabe von Doping-Mitteln bezichtigter Ex-Manager Stefan Matschiner in Untersuchungshaft genommen. Zuvor war der frühere Ski-Trainer Walter Mayer inhaftiert worden. «Es ist ein reinigendes Gewitter für uns und zeigt, dass der Sport keine Spielwiese ohne Regeln ist», sagte Hans Holdhaus, Doping-Experte und Direktor des Instituts für medizinische und sportwissenschaftliche Beratung am Olympiazentrum Wien-Südstadt am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur dpa.
«Dem DSV liegen keine neuen Erkenntnisse vor, dass dessen Sportler in diesen Fall verwickelt sind und Kunden bei Humanplasma waren», hieß es aus Kreisen des Deutschen Skiverbandes (DSV). «Alle Spitzenathleten des DSV haben im Vorjahr eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, dass sie mit dieser Firma nichts zu tun hatten.»
Nach der Doping-Offenbarung von Kohl ist auch wieder der Wiener Blutplasma-Hersteller Humanplasma ins Licht gerückt. Neue Ermittlungen gegen die Firma sind nicht mehr ausgeschlossen, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien. Kohl hatte vor Journalisten zugegeben, in den vergangenen Jahren mehrmals Blutdoping bei Humanplasma vorgenommen zu haben. Die Firma war im Januar 2008 im Zuge einer anonymen Anzeige in Verdacht geraten, unter anderen auch mehrere deutsche Biathleten und Ski-Langläufer gedopt zu haben. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wurden am 24. März eingestellt. Blutdoping ist in Österreich erst durch die Verabschiedung eines neuen Anti-Doping-Gesetzes am 1. August 2008 strafbar geworden.
Nach der umfassenden Doping-Beichte ihres einstigen Weggefährten Kohl haben Rolf Aldag und Christian Henn eine Aufklärung der Vorfälle gefordert - über den krisengeplagten Radsport hinaus. «Das Problem ist viel weitreichender, als nur auf den Radsport einzuschlagen. Ich wünsche mir endlich mal eine faire Aufklärung», sagte Columbia-Sportdirektor Aldag der dpa. Am Vortag hatte der wegen Dopings für zwei Jahre gesperrte Kohl zugegeben, seit dem ersten Kontakt mit seinem ehemaligen Manager Stefan Matschiner - im Jahr 2005 - gedopt zu haben. Kohl sprach von dem Doping-Arsenal «EPO, Wachstumshormone, Insulin und Testosteron» sowie von Blutdoping.
«Das ist schockierend», sagte Henn, der in den vergangenen beiden Jahren als Sportlicher Leiter in Kohls damaligem Gerolsteiner-Team tätig war. Es sei aber das Beste, alles auf den Tisch zu legen, da man dadurch an die Hintermänner herankomme. «Das ist das, was trockengelegt werden muss», forderte Henn. Der jetzige Sportliche Leiter der Milram-Equipe sagte der dpa, er habe von Kohls Doping nichts mitbekommen. Nach Angaben des früheren Gerolsteiner-Teamchefs Hans-Michael Holczer soll Kohl während seines Höhenflugs bei der Tour de France 2008 keine Bluttransfusionen vorgenommen haben. «Das hat er ganz klar verneint», sagte Holczer nach einem Telefonat mit Kohl. «Es unterstreicht meine Gewissheit: Es ist nicht kontrollierbar.» Kohl sei «nicht einmal auffällig» gewesen.
Der Sprecher der in Österreich eingesetzten «Soko Doping», Gerald Tatzgern, erklärte der Nachrichtenagentur APA, dass es derzeit neben Kohl und Hütthaler keine weiteren Informanten aus dem Profi-Bereich gebe, die in der Doping-Affäre den Behörden ihr Wissen mitteilen wollten. «Ich glaube nicht, dass noch irrsinnig viele Namen auftauchen werden», sagte Holdhaus. Dass ein flächendeckendes Doping- Netzwerk in Österreich existiert, glaube er nicht. «Wir sind nicht die Nation, die an der Doping-Spitze in Europa liegt, definitiv nicht», meinte der Wissenschaftler. Ähnlich urteilt Tatzgern: «Ich würde nicht sagen, dass der gesamte Spitzensport aus dem Ruder läuft.»
Österreich steht nach der Doping-Affäre bei den Olympischen Winterspielen 2006 in Turin, bei der es zu Polizei-Razzien im Lager der Biathleten und Langläufer gekommen war, besonders im Fokus. «Das war ein kräftiger Schlag auf den Deckel. Unterm Strich sind wir nun ein ganz wichtigen Schritt weitergekommen», sagte Holdhaus mit Blick auf das Anti-Doping-Gesetz: «Es könnte ein Vorbild für Europa sein.»