Basel (rad-net) - Am gestrigen Donnerstag herrschte bereits Hochbetrieb auf
der Wettkampffläche der diesjährigen Hallenradsport-Weltmeisterschaft in Basel.
Seit den frühen Morgenstunden weihten die Akteure im Radball und Kunstradfahren
das verlegte Parkett ein. Alle wollten sich an das grosse Hallenstadion, die
Basler St. Jakobshalle gewöhnen. Die steil aufsteigenden Zuschauertribünen - für
viele WM-Neulinge schon im leeren Zustand eine beeindruckende Kulisse. Ab
Freitag werden hier rund 3000 erwartete Zuschauer für die gewohnt einmalige
WM-Stimmung sorgen.
Und von ihrer WM-Premiere stehen so einige. Wie etwa die beiden Vierer-
Mannschaften aus Deutschland und der Schweiz. Für die Gastgeber treten die
frisch gebackenen Schweizer Meisterinnen Stefanie Moos, Vanessa Hotz, Saskia
Grob und Elena Fischer aus Baar an. Sie haben ein schweres Erbe vor sich. Ihre
Vorgängerinnen vom RV Sirnach holten seit 2014 bis zu ihrem Rücktritt 2018
dreimal Gold und zweimal Silber.
«Die WM ist natürlich ein Highlight für uns alle. Wir wollen das einfach
genießen und gute Leistungen vor unserem Heimpublikum zeigen», sagte Stefanie
Moos im Gespräch der Luzerner Zeitung. «Wenn wir an die guten und konstanten
Leistungen der Saison anknüpfen können, wird auch das Ergebnis positiv sein»,
meinte indes Vanessa Hotz.
Das Minimalziel der Baarer Frauen ist eine Medaille. Aber sie sind
Titelaspiranten, gehen mit dem höchsten Kürwert an den Start und zeigten am
Donnerstagabend bei ihrer Generalprobe vor den UCI-Wertungsrichtern ihr
Potenzial: 216,65 Punkte.
Für das deutsche Quartett vom VfH Worms ist hingegen alleine schon die
WM-Teilnahme - neben dem nationalen Titel 2019 - der absolute Karrierehöhepunkt.
Annika Furch, Nora Erbenich, Sabrina Born und Hannah Rohrwick lieferten sich in
der deutschen WM-Qualifikation einen packenden Zweikampf mit den
WM-Dauerstartern des RSV Steinhöring. «Bei unserer WM-Premiere wollen wir
einfach jeden Moment auf der Fläche genießen. Wir sind bereit, es kann
losgehen», ist sich das Team einig. Für Trainer Jürgen Born, eine Koryphäe im
Mannschaftskunstradfahren, und sein Team wird ein Traum wahr. Und gleichzeitig
ist dies der letzte Akt. Denn sowohl Borns Schützlinge, als auch er selbst,
werden nach der WM die sportliche Karriere auf dem Höhepunkt beenden.
Ebenso ein Wörtchen um die Titelvergabe mitreden wollen Lukas und Lea
Schneider, Leonie Huber sowie Julia Wetzel aus Österreich. Die WM-Dritten des
vergangenen Jahres sind das erfahrenste Team im Wettbewerb und auf
Schlagdistanz. Eine absolute Premiere wird der Auftritt der Mannschaft aus
Hongkong. Erstmals überhaupt in der WM-Geschichte tritt ein asiatisches Team in
dieser Disziplin an. Da die Slowakei erstmals seit vielen Jahren keinen Vierer
stellt, gibt es wieder nur einen Durchgang, der gleich als Final-4 ausgefahren
wird.
Auch für die favorisierten Zweier-Paare der offenen Klasse wird es spannend.
Die vierfachen UCI-Champions Benedikt und André Bugner (Klein-Winternheim) aus
Rheinhessen bezeichnen nach einem Jahr Verletzungsunterbrechung die WM in Basel
als «die Krönung unseres Comebacks» und wollen am Ort ihres ersten
Weltmeistertitels (2013) die Atmosphäre aufsaugen sowie ihre beste Leistung
zeigen. Schefold/Hanselmann signalisieren ebenso etwas zurückhaltende
Ambitionen. «Durch zwei Verletzungen in diesem Jahr sind wir leider nicht ganz
bei 100 Prozent unserer Leistungsfähigkeit und haben auch weniger Punkte
aufgestellt als ursprünglich geplant war. Trotzdem blicken wir optimistisch auf
die WM.»
Dennoch halten die beiden fest: «Das Ziel ist klar die Titelverteidigung,
auch wenn wir mit Bugners und den Schweizern keine einfache WM vor uns haben.
Wir freuen uns auf Basel.» Die Schweizer, das sind Lukas Burri und Fabienne
Hammerschmidt. 2018 sprengten sie die gewohnte deutsche Doppelspitze und holten
sich Silber. Nun sind sie mit ihrem Kürwert auf Augenhöhe und bereit für den
Titel im eigenen Land. Es wäre der erste nicht-deutsche Sieg in dieser
Disziplin.
Ebenso als Medaillenkandidaten gelten die Österreicher Marcel Schnetzer und
Jana Latzer, die mit etwas Abstand das finale Rennen um den WM-Titel eröffnen.
2016 gewannen sie Bronze, mussten 2018 aber verletzungsbedingt aussetzen. Ein
rein deutsches Duell um den WM-Sieg wird es wohl in allen weiteren Kunstrad-
Disziplinen geben. Im Einer-Frauen duellieren sich die Weltmeisterin von 2017,
Milena Slupina (Bernlohe) und die zweifache Vize-Weltmeisterin sowie amtierende
Europameisterin Viola Brand (Unterweissach) um das Regenbogentrikot.
«So fahren, wie ich es kann, zufrieden vom Rad steigen und damit das
Bestmögliche erreichen», geht Slupina ihre dritte WM an. "Die ,Grundform' - dass
ich mein Programm beherrsche - passt. Nun ist Tagesform wichtig und die wird
sich dann zeigen.»
Viola Brand geht ebenso selbstbewusst ans Werk: «Ich bin fit und möchte zeigen,
wofür ich trainiert habe.» Aber auch Lorena Schneider (Österreich) ist ein
Überraschungserfolg zuzutrauen. Sie ist zunächst auf Bronze programmiert, um das
auch Saskia Schäffler und Laura Bruder (beide SUI), Jana Latzer (AUT) und
Giuliana Zübner (ITA) in Frage kommen, sollten sie sich fürs Final-4
qualifizieren.
Im Zweier Frauen gehen die Schwestern Lena und Lisa Bringsken (Böhl-Iggelheim)
als Titelverteidigerinnen ins Rennen. Basel, das habe die beiden für sich mit
ins Motto «das... Beste Aus Seiner Eigenen Leistung ... holen» übertragen. Ihre
Dauerrivalinnen kommen aus dem gleichen Land: Caroline Wurth und Sophie- Marie
Nattmann (Gutach) haben einen leichten Punktevorteil und wollen im zweiten
Anlauf das Gold erobern. «Obwohl wir keine optimale Vorbereitung hatten, konnten
wir bei den letzten Wettkämpfen zeigen, dass wir unser Programm können", sagen
die Baden-Württembergerinnen. "Genau das möchten wir auch in Basel zeigen, um
hoffentlich ganz oben stehen zu dürfen.»
Ebenso spannend die Entscheidung um Bronze. Sofern die deutschen Paare
weitgehend fehlerfrei bleiben, bewerben sich für Rang die Schweizer
Lokalmatadorinnen Steinemann/Christinger und WM-Dritten des Vorjahres, Rosa
Kopf/Svenja Bachmann (Österreich).
Kein Weg aber wird im Einer Männer an einem Sportler vorbeiführen. Lukas Kohl
(Kirchehrenbach), seit seinem ersten WM-Sieg 2016 gänzlich ungeschlagen,
brillierte in dieser Saison gleich mit drei neuen Weltrekorden und dem
zehnfachen Drehsprung. Den wünschen sich die Fans selbstverständlich auch in der
Basler WM-Arena.
Der Champion selbst, der in den vergangenen Wochen erhöhten Medienrummel um
sich verspürt und in Deutschland zur Wahl Sportler des Jahres nominiert ist,
zeigt sich gewohnt bodenständig, signalisiert aber klares Selbstbewusstsein:
«Ich fühle mich top vorbereitet und bin richtig heiß darauf endlich in Basel
antreten zu dürfen. Ich will den Weltmeistertitel nicht verteidigen. Ich will
den Adler mit Stolz auf der Brust tragen und den Weltmeistertitel erneut
gewinnen!»
Selbst wenn Vize-Europameister Marcel Jüngling (Dornheim) bei seinem WM-Debüt
die Kür seines Lebens fährt, er muss auf Fehler von Kohl lauern. Entsprechend
realistisch schätzt er seine Chancen ein und sagt: «Ich blicke zuversichtlich
auf die WM und habe das klare Ziel, in Basel eine Medaille zu gewinnen.» Und wer
kommt dahinter: Wong-Chin To aus Hongkong ist als drittbester Starter immerhin
schon fünfmal mit WM-Bronze dekoriert, liebäugelt angesichts Jünglings
vermeintlichen Premierenfieber mit Silber. Doch hinter ihm lauert der Schweizer
Lukas Burri, immerhin Vize-Weltmeister im Zweier und mit einheimischen Fans im
Rücken. Währenddessen wäre für den Ungarn Martin Schön die Qualifikation ins
Final-4 die Erfüllung eines Traumes.
Im Radball wird ein Protagonist über seine Schmerzgrenzen hinaus fighten.
Markus Bröll bestreitet seine letzte WM an der Seite seines kongenialen Partners
Patrick Schnetzer. Das Höchster Gespann will zusammen Titel Nummer sechs holen.
Danach ist Schluss für Familienvater Markus. Doch zwei Teams, Deutschland und
die Schweiz, wollen den beiden diesen Erfolg streitig machen. Die Cousins Bernd
und Gerhard Mlady (Stein) haben nochmals an ihrer Fitness gearbeitet und die
Brüder Severin und Benjamin Waibel (Pfungen) weisen eine aufsteigende Formkurve
auf. Interessant wird das Auftreten des Bruderpaares Quentin und Mathias
Seyfried. 2018 waren die Franzosen noch knapp dem Abstieg in die B-Gruppe
entronnen. Zwischenzeitlich gewann Mathias mit Thomas Leclerc die
U23-Europameisterschaft. Womöglich ein Motivationsschub für den nächsten Schritt
in der Entwicklung.
Währenddessen sind die tschechischen Haudegen Jiri Hrdlicka und Pavel Loskot
immer für eine Überraschung gut. Doch der bekanntlich harte WM-Modus führt die
Oldies an die physischen Grenzen. Und für die Belgier Brecht Damen und Niels
Dirikx gilt es, nach ihrer besten WM-Platzierung (Rang vier) im Vorjahr bei
ihrem Heimspiel in Gent, diese Form zu bestätigen. Basel war bereits 2013
Austragungsort der Hallenradsport-Weltmeisterschaften. Mit der 2018
modernisierten St. Jakobshalle, hierzulande einer der größten und modernsten
Multifunktionshallen, ist der Veranstaltungsort Basel bestens für einen solchen
Sportanlass geeignet. Neben dem sportlichen Teil wird den Besucherinnen und
Besuchern einiges geboten. Am Freitag- und am Samstagabend finden in der
Eventhalle Hallenradsport-Partys statt, welche auch aufgrund des Auftritts der
Partyband «Lollies» ein Höhepunkt sind.