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Martin Wolf ist seit 15 Jahren Generalsekretär des BDR. Foto: rad-net
23.05.2022 15:08
BDR-Generalsekretär Wolf: «Müssen in spätestens zwei Wochen jonglieren»

Hagen (rad-net) - Martin Wolf ist seit 15 Jahren Generalsekretär des Bund Deutscher Radfahrer (BDR). Ehe er im Mai 2007 den Führungsposten übernahm, war der 58-Jährige bereits als Leiter der Geschäftsstelle, stellvertretender Generalsekretär und Referent für Leistungssport im Dachverband tätig. Zu seinem Dienstjubiläum führte rad-net ein Interview mit Wolf, in dem er über seinen Job, die Herausforderungen und den Gegenwind, den er darin erfährt, spricht. Insbesondere kritisiert er das Potenzialanalyse-System (PotAS) des Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 15. Jubiläum als BDR-Generalsekretär. Was waren für Sie die Highlights in diesem Zeitraum und wie schätzen Sie ihre Aufgabe ein?

Martin Wolf: Ich bin überzeugt davon, dass es ein toller Job und verantwortungsvolle Aufgabe ist. Und es macht mir immer noch Spaß! Ich bin damals ins kalte Wasser geworfen worden und denke, dass ich mich aufgrund meiner Erfahrung im BDR schnell hineingearbeitet habe. Meine Aufgabe macht mir grundsätzlich viel Spaß. Manchmal ist es aber auch – um in der Rennfahrersprache zu bleiben – auch kräfteraubend, vorne im Wind zu fahren. Zu den Highlights meiner Amtszeit zählen sicherlich die Weltmeisterschaften im eigenen Land, und die großen Events in Deutschland wie die Deutschland-Tour und unsere großen Klassiker. Aber auch die vielen Kontakte zur Basis und den Radsportvereinen ergeben oft tolle Gespräche. Also rund um ein spannender Job.

Wie geht es Ihnen denn nach dieser Zeit ganz vorne im Wind?

Wolf: Immer noch gut, danke, obwohl der Wind gerade im Moment wieder in bisschen heftiger wird.

Warum das? Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Wolf: PotAS und vor allem die konkrete Umsetzung, hat meine Befürchtungen, die ich ja bereits 2019 in unserem letzten Gespräch geäußert hatte, bei Weitem übertroffen. Die Bürokratie hat sich verdreifacht und am Ende hat dies alles der sportlichen Entwicklung überhaupt keinen Rückenwind gebracht, sondern uns in der Nachwuchsentwicklung zurückgeworfen.

Können Sie das genauer erläutern?

Wolf: (Lacht) Wieviel Zeit haben wir?

Ich beschränke mich im Hinblick auf den sportlichen Aspekt erst einmal auf ein Beispiel. Bisher haben wir unsere Junioren-Kadersportlerinnen und -sportler im Bereich Ausdauer - also Straße, Bahn und MTB - im Frühjahr zu einem Grundlagentrainingslager nach Mallorca geschickt. Da im Rahmen der Finanzmittel, die für das Gesamtjahr für diese Bereiche zur Verfügung stehen, durch uns kein zweites Grundlagentrainingslager zur Vorbereitung durchgeführt werden konnte, haben in den meisten Fälle die Landesverbände, aus denen diese Kader kamen, die Sportler zu Ihrem Landesverbands-Trainingslager mitgenommen und die Kosten übernommen. Jetzt geht das nicht mehr, weil im Rahmen einer Bund-Länder-Vereinbarung unsere benannten Bundeskader nicht mehr aus den Mitteln des Landesverbands finanziert werden dürfen. Also geht vielen dieser Sportler, die es sich nicht leisten können, private Eigenmittel einzubringen, ein oder zwei Wochen an qualitativen hochwertigen und umfangreichen Trainingskilometern verloren.

Der zweite Aspekt, der mich wirklich aufregt: Es ist doch verrückt, in einem 'Potentialanalyse-System' die sportlichen Leistungen des Nachwuchses nicht zu berücksichtigen - Mit der Argumentation, dass man diese Leistungen in der Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 nicht bewerten könne, weil es nicht mit den Vorjahren vergleichbar sei. Die starken Ergebnisse unserer Altersklassen U19 und U23 in diesen Jahren, in den zumindest das Jahr 2021 im Radsport völlig normal gelaufen ist, wurden in den Sportarten, wie zum Beispiel MTB und BMX Race, in denen wir im Moment bei der Elite um den Anschluss kämpfen, nicht berücksichtigt. Welches größere Potential kann aber ein Verband haben, wenn nicht seine Nachwuchssportler? Bei PotAS wurden aber irgendwelche abgefragten Konzepte als positiv berücksichtigt, bei denen nicht einmal hinterfragt wurde, ob diese auch umgesetzt werden; oder aber Fragestellungen bewertet, ob zum Beispiel unsere Sportler Autogrammkarten bekommen.

Diese Auswirkungen betreffen ja vor allem den sportlichen Bereich. Welche Folgen der Umstellung machen Ihnen denn als Generalsekretär die größten Sorgen?

Wolf: Zunächst einmal sehe ich das bürokratische Monster, dass im Rahmen der Umsetzung entstanden ist. Der Aufwand im Referat Leistungssport, bei mir im Generalsekretariat und im Bereich der Finanzbuchhaltung hat sich durch die Umstellung auf eine reine Projektförderung verdreifacht.

Der Wegfall der Grundförderung, aus der die Grundbedürfnisse der Verbände und die sportartübergreifenden Dinge, wie z. B. unser Fuhrpark, unser Material oder auch unsere Mitwirkung in den internationalen Verbänden finanziert wurde, hat zwei gravierende Auswirkungen. Eine davon ist vor allem in diesem Jahr zu spüren. Bisher waren wir in der Lage vor der offiziellen Bewilligung von Projekten, die durch BMI und BVA auch für bereits im Januar eines Jahres stattfindende Maßnahmen meist erst Ende April eines Jahres erfolgte, aus der Grundförderung unsere Liquidität für diese ersten Monate sicherzustellen. In diesem Jahr haben wir zum heutigen Tage bereits circa 800.000 Euro für die Sportmaßnahmen ausgegeben, aber noch keinen einzigen Cent dafür erhalten. Dank unserer Sponsoren, die uns zeitlich bei den Zahlungen entgegengekommen sind, und der stabilen Basis der Mitglieder in den Landesverbänden, haben wir diese Lücke schließen können, werden aber in spätestens zwei Wochen jonglieren müssen, wenn nicht endlich eine Bewilligung und Auszahlung von Mitteln erfolgt.

Das heißt es droht sonst sogar eine Einstellung des Sportbetriebs?

Wolf: Wir gehen davon aus, dass wir dies nicht in Erwägung ziehen müssen, können das aber heute auch nicht ausschließen.

Was wirklich für unnötige Mehrarbeit und Kopfzerbrechen sorgt ist aber auch die im Rahmen der Umstellung auf reine und 'disziplinscharfe' Projektförderung entstandene Aufteilung von Kosten, die man von der Logik her eigentlich gar nicht vornehmen müsste. Ein Beispiel: Wir benötigten für unseren Sport einen umfangreichen Fuhrpark. Unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit wurden also Fahrzeuge je nach Saisonbedarf in den Bereichen Bahn, Straße und MTB eingesetzt. Alle Kosten für Fahrzeuge, die in mehreren Bereichen zum Einsatz kamen, wurden über ein einziges Konto im Rahmen der Grundförderung gebucht. Jetzt müssen wir die Kosten für jedes dieser Fahrzeuge auf vier bis sechs unterschiedliche Kostenstellen aufteilen. Bahn Männer, Bahn Frauen, Straße Männer, Straße Frauen, MTB Männer und MTB Frauen. Jeweils sechs Buchungen statt einer - willkommen in Deutschland.

Was heißt das in anderen Bereichen, wie etwa der von Ihnen erwähnten Mitwirkung in internationalen Sportverbänden?

Wolf: Da wird es noch verrückter. Wir hatten bisher eine Kostenstelle 'Mitwirkung in internationalen Gremien', in die zum Beispiel die Kosten für UCI- und UEC Kongresse, aber auch Sitzungen internationaler Kommissionen gebucht wurden. Jetzt gibt es für alle acht Projektbereiche jeweils eine Kostenstelle, so dass beispielsweise die Kosten meiner Teilnahme am kommenden UCI-Kongress in Australien, in dem ja übergreifend über alle Radsportarten gesprochen wird, im krassesten Fall auf acht Kostenstellen gebucht werden müsste, also eine Verachtfachung der Arbeit. Ein echtes Dilemma!

Und wie könnte man aus diesem Dilemma herauskommen? Haben Sie denn Vorschläge?

Wolf: (Lacht.) Natürlich, denn zum einen bin ich ja nicht erst seit 15 Jahren beim BDR, sondern seit inzwischen fast 30 Jahren im Leistungssport involviert und gebe daher nicht auf. Meine klare Empfehlung: Back to the roots! Die Verbände sollten wie in den Neunzigerjahren zunächst eine Grundförderung erhalten und zusätzlich jährlich mit dem DOSB und BMI abzustimmende Fördermittel für die Teilnahme an Europa- und Weltmeisterschaften bekommen. Erst am Ende und nur zu einem kleinen Teil sollte über echte 'Projektmittel' verhandelt werden, die sich entweder auf die Anforderungen der Olympia-Qualifikation des nächsten Jahres beziehen oder aber sportfachlich und zeitlich befristete Projekte fördern, also zur Leistungsoptimierung notwendige Maßnahmen, zum Beispiel eine zusätzliche Höhentrainingslagerkette oder ähnliches. Mit dieser Konzeption ist 'Sportdeutschland' bisher am besten gefahren.

Glauben Sie, dass diese Vorschläge, zurück zu den Wurzeln gehen, von den anderen Sportverbänden unterstützt werden könnten?

Wolf: Ja, von den Sportverbänden ganz sicher. Auch beim DOSB habe ich die Hoffnung, dass man sich eingestehen kann, dass das Konzept, so wie es in der Praxis jetzt gelebt wird, nicht zu erfolgreicherem Abschneiden führen wird. Im BMI ist man immer ein wenig davon abhängig, wie lange die Mitarbeiter mit einem Verband und dem DOSB zusammenarbeiten und dadurch einen Einblick bekommen, wie die Umsetzung der Maßnahmen und die Schwierigkeiten bei deren Planung in der Praxis aussehen.

Möchten Sie noch ein Schlusswort loswerden und wie lange werden wir noch mit Ihnen als Generalsekretär rechnen können?

Wolf: (Lacht.) Wie lange noch? Mal sehen, was nach der Veröffentlichung dieses Interviews passiert. Nein, im Ernst. Natürlich muss man bei aller Kritik eine Sache sehr positiv bewerten. Ohne die umfangreiche Förderung durch das BMI für unser Leistungssportpersonal, aber auch die Förderung der Sportmaßnahmen wären wir als BDR nicht in der Lage, bei internationalen Sportgroßveranstaltungen eine Rolle zu spielen. Von daher sind wir als Verband natürlich sehr dankbar, dass die Mittel für die Förderung des Sports insgesamt immer wieder aufgestockt wurden.

Aber trotzdem ist es traurig zu sehen, wenn durch die fahrlässig entstehende und somit unnötige Bürokratie, unglaublich viel positive Energie und Motivation verloren geht und das eigentliche Ziel, die Weiterentwicklung des gesamten Leistungssports in Deutschland, nicht erreicht wird.

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