Brüssel (dpa) - Als Basketball-Fan saß Geraint Thomas auf der Tribüne bei den Los Angeles Lakers, er traf Fußball-Star Lionel Messi, war auf zahlreichen Galas der Stargast und ging auf Werbetour mit seinem neuen Buch.
«Es passiert nicht jeden Tag, dass man die Tour de France gewinnt. Ich wollte es genießen, und ich habe es genossen», berichtete Thomas von den Wochen nach seinem überraschenden Triumph bei der Frankreich-Rundfahrt, in denen er auch einige Kilos zugelegt hatte.
Seit jenem Abend am 29. Juli 2018, als Thomas als erster Waliser im Gelben Trikot über die Champs-Élysées radelte, war er in seiner Heimat plötzlich ein Volksheld. Verrückt sei das alles gewesen, erzählt Mister G, wie er gerufen wird. In seiner Heimatstadt Cardiff wurden sogar die Busse gelb angepinselt. Er wurde von der BBC zur Sport-Persönlichkeit des Jahres gekürt, was nicht einmal dem viermaligen Tour-Champion Chris Froome passierte. Auch den «Most Excellent Order of the British Empire» bekam er noch überreicht.
So oft er in den Wintermonaten allerdings im Anzug auf der Bühne stand, so wenig saß er auf der Rennmaschine. «Ich habe Juckreiz bekommen und wollte wieder auf das Rad steigen», sagte Thomas, dessen Vertrag mit einem ordentlichen Gehaltsaufschlag - er soll bis zu vier Millionen Euro jährlich verdienen - bis 2021 verlängert wurde. Inzwischen sei die Form zurück und das Idealgewicht von 67 Kilogramm in etwa erreicht.
Doch viele offene Fragen bleiben. Denn hinter Thomas liegt ein äußerst holpriges Jahr. Nicht ein Rennen konnte er seit dem Tour-Sieg gewinnen, in diesem Jahr reichte es gerade einmal zu 26 Renntagen. Seine Generalprobe bei der Tour de Suisse endete zuletzt nach einem Sturz vorzeitig auf dem Asphalt. Dass ihm im Herbst auch noch der Tour-Siegerpokal auf einer Show in Birmingham gestohlen wurde, passt ins Bild. Eine verlässliche Prognose, zu was Thomas in Frankreich ab diesem Wochenende imstande ist, kann kaum ein Experte abgegeben.
Und nicht einmal im eigenen Ineos-Team scheint das Vertrauen in Thomas übermäßig stark zu sein. So wurde offiziell der junge Kolumbianer Egan Bernal als Co-Kapitän benannt. Ein Status, der Thomas nicht einmal bei der Tour 2018 zugestanden wurde, als er längst im Gelben Trikot unterwegs war, das Team aber weiter auf Froome setzte. Dies hatte ihn frustriert, wie er in seinem Buch einräumte, dessen Titel übersetzt in etwa lautet: «Die Tour aus Sicht von G - Meine Reise ins Gelbe Trikot».
Froome wäre wohl auch in diesem Jahr der unumschränkte Kapitän bei Ineos gewesen, hätte ihn nicht der schlimme Trainingsunfall mit zahlreichen Knochenbrüchen bei der Dauphiné-Rundfahrt jäh gestoppt. Für den Vierfach-Sieger ist die Saison gelaufen, und plötzlich steht Thomas wieder im Blickpunkt. Er sei jedes Jahr besser geworden, darauf setzt der 33-Jährige auch in diesem Jahr und will Historisches schaffen: «Wenn man in die Geschichtsbücher schaut, ist es Miguel Indurain als letztem Fahrer 1992 gelungen, den ersten Tour-Sieg direkt zu wiederholen.»
Sein früherer Teamkollege Bradley Wiggins schaffte dies nicht, er ist nach seinem Erfolg 2012 erst gar nicht mehr zur Tour zurückgekommen. «Ich war auf all das nicht vorbereitet. Du hast von einem auf den anderen Tag gelebt. Links und rechts haben sie an dir gezogen. Es war hart», beschrieb der charismatische Radstar die Zeit nach seinem Triumph, den er damals sogar noch mit dem Olympiasieg vergoldet hatte. Ob es Thomas nun besser ergeht?