Frankfurt (rad-net) - Erik Weispfennig, ehemaliger Radprofi und im Jahr 2000 Weltmeister im Zweiermannschaftsfahren, wurde im April 2019 zum Vizepräsidenten im Bund Deutscher Radfahrer (BDR), zuständig für den Bereich Vertragssport, gewählt. Wenn auch derzeit aufgrund der Corona-Pandemie keine Rennen stattfinden können, muss viel organisiert und besprochen werden und der 50-Jährige gehört zu den Männern im BDR, die dadurch viel zu tun haben. Im Interview spricht er über die Lage des Radsport und seine Hoffnungen während und nach der Pandemie.
Normalerweise wären Sie jetzt viel in Sachen Radsport unterwegs. Wie geht es Ihnen, was tun Sie gerade?
Erik Weispfennig: Die Reisen zu den Rennen fehlen mir schon. Für uns alle, die wir im Leistungssport unterwegs sind, ist es eine ungewöhnliche Situation. Vor allem, als der Lockdown unser gesellschaftliches Leben fast stilllegte. Inzwischen gibt es ja wieder eine Perspektive und darüber bin ich, wie alle, froh.
Wie haben Sie in den letzten Wochen den Kontakt innerhalb des Verbandes und mit Sportlern aufrechterhalten?
Weispfennig: Wir hatten in den letzten Wochen sehr viele Telefon- und Videokonferenzen. Der Radsport steht ja nicht still, nur weil keine Rennen stattfinden. Mit Sportlern hatte ich direkt keinen Kontakt, aber mit einigen Sportlichen Leitern habe ich mich ausgetauscht.
Die Corona-Pandemie hat den Radsport zum Stillstand gezwungen. Keine Meisterschaften, keine Deutschland-Tour. Befürchten Sie durch die Absagen langfristig Folgen für den deutschen Radsport oder wird man im Herbst einfach da weitermachen, wo man im Frühjahr aufhören musste?
Weispfennig: Es wird sich vieles verändern, allein schon deshalb, weil das Rennprogramm ein völlig anderes ist. Jeder wird froh sein, wenn es wieder Rennen gibt, aber noch steht hinter jedem derzeit neu geplanten Event ein Fragezeichen, weil niemand weiß, wie die Situation im August sein wird. Die Profis werden froh sein, wenn sie wieder ihrem Beruf nachgehen können, und da ist jeder zu Kompromissen bereit.
Die Lage bei den Profis ist sehr unterschiedlich. CCC kürzt seinen Fahrern die Gehälter auf ein Minimum. Bei anderen Teams wie Bora-hansgrohe und Sunweb geht es weiter wie bisher. Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation im Profiradsport?
Weispfennig: Als eine sehr schwierige. Der Sport lebt vom Sponsoring. Wir können froh sein, dass unsere WorldTour-Teams so solide dastehen, bei einigen anderen wird es eng. Noch problematischer sehe ich die Situation bei kleineren Teams und bei Veranstaltungen. Welcher Sponsor wird ein Rennen unterstützen, Tickets im VIP-Bereich ordern, wenn er seine Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken oder sogar entlassen muss?
Die UCI hat die Weltmeisterschaft in der Schweiz fest im Plan. Glauben Sie, dass sie stattfinden wird?
Weispfennig: Diese Frage kann ich derzeit nicht beantworten, das hängt von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab. Das werden die nächsten Wochen zeigen. Ich würde mich freuen, wenn die WM wie geplant in der Schweiz stattfinden würde.
Nach welchen Kriterien wird der BDR seine Sportlerinnen und Sportler für internationale Ereignisse nominieren, wenn vorher keine Rennen stattfanden?
Weispfennig: Es wird sicherlich vorher Rennen geben, man wird nicht mit einer Weltmeisterschaft beginnen. Und dann können wir uns mit den Sportlichen Leitern der Teams beraten, so wie wir das auch in normalen Zeiten tun. Da stehe ich in regem Austausch mit den Verantwortlichen. Eine Auswahl an möglichen WM-Kandidaten kann auch erst dann getroffen werden, wenn feststeht, wo sie stattfinden wird. Es gibt Gerüchte, dass sie von der Schweiz in ein arabisches Land verlegt werden könnte, wo man im November noch angenehme Temperaturen vorfindet. Da wären dann ganz andere Fahrer gefragt als bei dem bergigen Kurs in Aigle.
Wird Corona die Radsportwelt nachhaltig verändern?
Weispfennig: Ich hoffe, dass es irgendwann wieder «normale» Verhältnisse wie vor der Krise geben wird. Aber einiges wird sich ändern. Mir persönlich gefällt die Möglichkeit von Videokonferenzen. Die ersetzen zwar kein persönliches Gespräch, aber man kann sie in Zukunft definitiv öfter nutzen. Auch das E-Cycling wird sich festigen. Die vom BDR ins Leben gerufene «GCA Liga powered by Müller – Die lila Logistik» war ein großer Erfolg mit sehr vielen Teilnehmern. Sie wird den Straßenradsport nie ersetzen, aber sie kann ein zusätzliches Element werden.
Die Corona-Krise hat auch viele Schwächen im System aufgezeigt, beispielsweise die große Abhängigkeit der Teams von den Sponsoren. Das betrifft ja nicht nur den Radsport. Da sollte man über alternative Systeme nachdenken.
Was positiv zu bewerten ist, ist die große Kompromissbereitschaft untereinander. Wir mussten Meisterschaften verschieben und sind da auf viel Verständnis gestoßen, sei es bei Organisatoren oder Behörden. Einfach ist das nicht, denn es geht um Zuschüsse, Genehmigungen, vieles läuft über die Politik. Aber auch da zeigte sich: In der Krise hält man zusammen. Dieser Zusammenhalt wird hoffentlich bleiben, wenn die Krise irgendwann vorüber ist.
Liveticker: Aktuelle Informationen zum Coronavirus aus dem Radsport